5) Hochmutige, im Gegensatze von Stolzen.
Von Herrschsucht, Ehrgeiz und Eitelkeit ist Hochmut sowie von Stolz unterschieden. Ich möchte gern, daß man Stolz als eine edle Eigenschaft der Seele ansähe; als ein Bewußtsein wahrer innrer Erhabenheit und Würde; als ein Gefühl der Unfähigkeit, niederträchtig zu handeln. Dieser Stolz führt zu großen, edlen Taten; er ist die Stütze des Redlichen, wenn er von jedermann verlassen ist; er erhebt über Schicksal und schlechte Menschen und erzwingt selbst von dem mächtigen Bösewicht den Tribut der Bewundrung, den er wider Willen dem unterdrückten Weisen zollen muß. Hochmut hingegen brüstet sich mit Vorzügen, die er nicht hat, bildet sich auf Dinge etwas ein, die gar keinen Wert haben. Hochmut ist es, der den Pinsel von sechzehn Ahnen aufbläht, daß er die Verdienste seiner Vorfahren - die oft nicht einmal seine echten Vorfahren sind und oft nicht einmal Verdienste gehabt haben - daß er diese sich anrechnet, als wenn Tugenden zu dem Inventar eines alten Schlosses gehörten. Hochmut ist es, der den reichen Bürger so grob, so steif, so ungesellig macht. Und wahrlich, dieser pöbelhafte Hochmut ist, da er mehrenteils von Mangel an Lebensart und ungeschickten Manieren begleitet wird, womöglich noch empörender als der des Adels. Hochmut ist es, der den Künstler mit so viel Zuversicht zu Talenten erfüllt, die, sollten sie auch von niemand anerkannt werden, ihn dennoch in Gedanken über alle Erdensöhne hinaussetzen. Er wird, wenn niemand ihn bewundert, eher auf die Geschmacklosigkeit der ganzen Welt schimpfen, als auf den natürlichen Gedanken geraten, daß es wohl mit seiner Kunst nicht so ganz richtig aussehn müsse. Wenn dieser Hochmut nun gar in einem armen, verachteten Subjekte wohnt, dann wird er ein Gegenstand des Mitleidens und pflegt eben nicht viel Unheil anzurichten. Er ist aber übrigens fast immer mit Dummheit gepaart, also durch keine vernünftigen Gründe zu bessern und keiner bescheidenen Behandlung wert. Hier hilft nichts, als Übermut gegen Übermut zu setzen, oder zu scheinen, als bemerkte man ein hochmütiges Betragen gar nicht; oder Leute, die sich aufblasen, gar keiner Achtsamkeit zu würdigen, sie anzusehn, als wie man auf einen leeren Platz hinblicke, selbst wenn man ihrer bedarf; denn wahrhaftig! - ich habe das oft erfahren - je mehr man nachgibt, desto mehr fordern, desto übermütiger werden sie, bezahlt man sie aber mit gleicher Münze, so weiß ihre Dummheit nicht, wie sie das Ding nehmen soll, und spannt gewöhnlich andre Saiten auf. |
Erstes Buch Über den Umgang mit sich selbst 5) Hochmutige, im Gegensatze von Stolzen. 1) Über die vier Haupt-Temperamente und deren Mischungen. 2) Über herrschsüchtige Leute. 3) Über Ehrgeizige. 4) Eitle. 6) Über sehr empfindliche Leute. 7) Über den Umgang mit Eigensinnigen. 8) Mit Zanksüchtigen, Widersprechern und solchen, die Paradoxa lieben. 9) Mit Jähzornigen. 10) Mit Rachgierigen. 11) Mit unentschlossenen, faulen und phlegmatischen Leuten. 12) Mit menschenfremden, mißtrauischen, argwöhnischen, mürrischen und verschlossenen Leuten. 13) Mit neidischen, hämischen, verleumderischen, schadenfrohen, mißgünstigen und eifersüchtigen Menschen. 14) Über den Geiz und die Verschwendung. 15) Über das Betragen gegen Undankbare. 16) Gegen ränkevolle Leute und Lügner. 17) Gegen Windbeutel. 18) Gegen Unverschämte, Müßiggänger, Schmarotzer, Schmeichler und zudringliche Leute. 19) Gegen Schurken. 20) Gegen zu bescheidene, zu furchtsame Menschen, 21) Gegen Unvorsichtige und Plauderhafte, Vorwitzige und Neugierige, Zerstreute und Vergessene. 22) Gegen Wunderliche, Sonderlinge und Launenhafte. 23) Über den Umgang mit dummen, schwachen, übertrieben gutherzigen, leichtgläubigen und solchen Menschen, die gewisse Liebhabereien und Steckenpferde haben. 24) Mit munteren und satirischen Leuten. 25) Mit Trunkenbolden, groben Wollüstlingen und andern lasterhaften Leuten. 26) Mit Enthusiasten, Überspannten, Romanhaften, Kraftgenies und exzentrischen Leuten. 27) Etwas von Andächtlern, Heuchlern und abergläubischen Leuten. 28) Von Deisten, Freigeistern und Religionsspöttern. 29) Über die Art, wie man Schwermütige, Tolle und Rasende behandeln müsse. Geschichte zweier Wahnsinniger.
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