26) Mit Enthusiasten, Überspannten, Romanhaften, Kraftgenies und exzentrischen Leuten.

Einen ganz eignen Abschnitt verdienen die Enthusiasten, überspannten, romanhaften Menschen, Kraftgenies und exzentrischen Leute. Sie leben und weben in einer Atmosphäre von Phantasien wie ein Fisch im nassen Elemente, und sind geschworne Feinde der kalten Überlegung. Modelektüre, Romane, Schauspiele, geheime Verbindungen, Mangel an gründlichen wissenschaftlichen Kenntnissen und Müßiggang stimmen einen großen Teil unsrer heutigen Jugend auf diesen Ton, man trifft aber auch Schwärmer mit grauen Köpfen an. Sie streben ohne Unterlaß nach dem Außerordentlichen und Übernatürlichen; verachten das naheliegende Gute, um nach fernen Erscheinungen zu greifen; versäumen das Nötige und Nützliche, um Pläne für das Entbehrliche zu machen; legen die Hände in den Schoß, wo es Pflicht wäre zu wirken, um sich in Händel zu mischen, die sie nichts angehen; reformieren die Welt und vernachlässigen ihre häuslichen Geschäfte; finden das Wichtigste zu klein und das Abgeschmackteste erhaben; verstehen das Deutlichste nicht und predigen das Unbegreifliche. Vergebens stellst Du ihnen die Gründe der gesunden Vernunft vor; sie werden Dich als einen gemeinen Menschen, ohne Gefühl, ohne Sinn für das Große, verachten, Mitleiden mit Deiner Weisheit haben und sich lieber an ein paar andre Narren von ähnlichem Schwunge schließen, die in ihren Unsinn einstimmen. Ist Dir's also darum zu tun, einen solchen Schwärmer von etwas zu überzeugen oder auch nur irgend in Ansehn bei ihm zu stehn, so müssen Deine Gespräche warm und feurig sein, und Du mußt mit ebensoviel Enthusiasmus der gesunden Vernunft das Wort reden, als womit er die Sache seiner Torheit verficht. Selten aber richtet man überhaupt etwas mit solchen Menschen aus, und es ist am besten getan, der Zeit ihre Kur zu überlassen. Indessen steckt zum Unglücke Schwärmerei an wie der Schnupfen. Wer daher eine sehr lebhafte Einbildungskraft hat, und nicht ganz sicher von der Herrschaft seines Verstandes über dieselbe ist, dem rate ich, im Umgange mit Enthusiasten jeder Gattung auf seiner Hut zu sein. In diesem Jahrhunderte, in welchem die Wut nach geheimen Verbindungen, die fast alle auf solchen Grillen beruhen, so allgemein geworden ist, hat man sogar Mittel gefunden, alle Arten von religiöser, theosophischer, chymischer und politischer, oder wer weiß von was für Schwärmerei in Systeme zu bringen. Ich mag nicht entscheiden, welche von diesen Gattungen die gefährlichste ist, halte aber doch dafür, diejenigen, welche auf politische, halb phantastische, halb jesuitische Pläne und auf Weltreformation hinausgehen, gehören wohl wenigstens nicht zu den unschädlichsten Donquixoterien; ich glaube dies um so fester, da grade diese Art von Schwärmersystemen am mehrsten Verwirrung im Staate anrichten kann und die blendendste Außenseite zu haben pflegt, statt daß die übrigen bald Langeweile machen und nur schiefe und mittelmäßige Köpfe dauerhaft beschäftigen. Man gewöhne sich daher im Umgange mit den Aposteln solcher Systeme die großen Wörter: Glück der Welt, Freiheit, Gleichheit, Rechte der Menschheit, Kultur, allgemeine Aufklärung, Bildung, Weltbürgergeist und dergleichen für nichts anders als für Lockspeisen oder höchstens für gutgemeinte leere Worte zu nehmen, mit denen diese Leute spielen wie die Schulknaben mit den oratorischen Figuren und Tropen, welche sie in ihren magern Exerzitien anbringen müssen.

Kraftgenies und exzentrische Leute lasse man laufen, solange sie sich noch nicht gänzlich zum Einsperren qualifizieren. Die Erde ist so groß, daß eine Menge Narren nebeneinander Platz darauf haben.

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Über den Umgang mit Menschen


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Erstes Buch
Über den Umgang mit sich selbst
26) Mit Enthusiasten, Überspannten, Romanhaften, Kraftgenies und exzentrischen Leuten.


1) Über die vier Haupt-Temperamente und deren Mischungen.
2) Über herrschsüchtige Leute.
3) Über Ehrgeizige.
4) Eitle.
5) Hochmutige, im Gegensatze von Stolzen.
6) Über sehr empfindliche Leute.
7) Über den Umgang mit Eigensinnigen.
8) Mit Zanksüchtigen, Widersprechern und solchen, die Paradoxa lieben.
9) Mit Jähzornigen.
10) Mit Rachgierigen.
11) Mit unentschlossenen, faulen und phlegmatischen Leuten.
12) Mit menschenfremden, mißtrauischen, argwöhnischen, mürrischen und verschlossenen Leuten.
13) Mit neidischen, hämischen, verleumderischen, schadenfrohen, mißgünstigen und eifersüchtigen Menschen.
14) Über den Geiz und die Verschwendung.
15) Über das Betragen gegen Undankbare.
16) Gegen ränkevolle Leute und Lügner.
17) Gegen Windbeutel.
18) Gegen Unverschämte, Müßiggänger, Schmarotzer, Schmeichler und zudringliche Leute.
19) Gegen Schurken.
20) Gegen zu bescheidene, zu furchtsame Menschen,
21) Gegen Unvorsichtige und Plauderhafte, Vorwitzige und Neugierige, Zerstreute und Vergessene.
22) Gegen Wunderliche, Sonderlinge und Launenhafte.
23) Über den Umgang mit dummen, schwachen, übertrieben gutherzigen, leichtgläubigen und solchen Menschen, die gewisse Liebhabereien und Steckenpferde haben.
24) Mit munteren und satirischen Leuten.
25) Mit Trunkenbolden, groben Wollüstlingen und andern lasterhaften Leuten.
27) Etwas von Andächtlern, Heuchlern und abergläubischen Leuten.
28) Von Deisten, Freigeistern und Religionsspöttern.
29) Über die Art, wie man Schwermütige, Tolle und Rasende behandeln müsse. Geschichte zweier Wahnsinniger.

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