16) Gegen ränkevolle Leute und Lügner.
Manchen Leuten ist es schlechterdings unmöglich, in irgendeiner Sache den graden Weg zu gehn; Ränke, Schwänke und Winkelzüge mischen sich in alle ihre Unternehmungen, ohne daß sie deswegen von Grund aus böse sind. Eine unglückliche Stimmung des Gemüts und die Einwirkung von Lebensart und Schicksalen können diesen Charakter bilden. So wird zum Beispiel ein sehr mißtrauischer Mann auch wohl die unschuldigste Handlung heimlich tun, sich verstellen und seinen wahren Zweck verschleiern. Ein Mann von übel geordneter Tätigkeit oder von zu viel raschem Feuer, ein schlauer, unternehmender Kopf, der in einer Lage ist, wo ihm alles zu einfach hergeht, wo es ihm an Gelegenheit fehlt, seine Talente zu entwickeln, wird allerlei schiefe Seitensprünge wagen, um seinen Wirkungskreis zu erweitern oder mehr Interesse in die Szene zu bringen; und dann wird er nicht immer heikel genug in der Wahl seiner Mittel sein. Ein sehr eitler Mensch wird in manchen Fällen versteckt handeln, um seine Schwäche zu verbergen. Ein Mann, der lange an Höfen gelebt hat, um sich her nichts als Verstellung, Intrige, Kabale und Gegeneinanderwirken zu sehn und selbst auf gradem Wege nicht zu erhalten gewöhnt ist, findet ein Leben, das ohne Verwicklung fortgeht, zu einförmig; er wird seine unbedeutendsten Schritte so tun, daß man ihm nicht nachspüren kann, und seinen unschuldigsten Handlungen einen rätselhaften Anschein geben. Der Jurist, der sich stets mit den Spitzfindigkeiten der Schikane beschäftigt, findet innigen Seelengenuß darin, daß er in Worten und Werken allerlei Kantelen und Schwänke anbringt. Wer seine Gehirnnerven durch Romanlesen und andre phantastische Träumereien überspannt, oder wer durch ein üppiges, müßiges Leben, durch schlechte Gesellschaft und dergleichen den Sinn für Einfalt, kunstlose Natur und Wahrheit verloren hat, der kann nicht existieren, ohne Intrige - und so gibt es eine Menge Menschen, die, was sie auf gradem Wege erlangen könnten, nicht halb so eifrig wünschen, als was sie heimlich zu erschleichen hoffen. Man kann aber endlich den edelsten, offenherzigsten Menschen, besonders in jüngern Jahren, zu Winkelzügen verleiten, wenn man ihm ohne Unterlaß Mißtrauen zeigt oder ihn mit soviel Strenge behandelt, ihn in einer solchen Entfernung von uns hält, daß er kein Zutraun zu uns haben kann. Was nun auch dazu beigetragen haben mag, manchen Menschen Ränke und Winkelzüge zur Gewohnheit zu machen, so ist wohl folgende Art, sich gegen sie zu betragen, die beste, die man wählen kann: Man handle selbst immer so offen und unverstellt und zeige sich ihnen in Worten und Taten als einen so entschiednen Feind von allem, was Schiefigkeit, Intrige und Verstellung heißt, und als einen so warmen Verehrer jedes redlichen, aufrichtigen Mannes, daß sie wenigstens fühlen, wieviel sie in unsern Augen verlieren würden, wenn wir sie auf bösen Schlichen ertappten. Man zeige ihnen, solange sie uns noch nicht getäuscht haben, ein unbegrenztes Vertrauen, stelle sich, als könne man sich auch die Möglichkeit nicht einbilden, daß sie uns hintergehn würden. Ist ihnen dann an unser Achtung gelegen, so werden sie sich vor dem ersten uns mißfälligen Schritte hüten. Man zeige sich so tolerant gegen kleine Schwachheiten und so bereit, begangene Fehler zu verzeihn und zu entschuldigen, insofern nur keine Tücke dabei im Spiele gewesen, daß sie sich nicht vor uns als vor strengen Sittenrichtern zu scheuen und zu verstecken nötig finden. Man spioniere nie um sie her, beschleiche sie nie, erlaube sich keine versteckten Wege, sondern frage, wenn man Recht dazu hat und uns daran gelegen ist, etwas, das uns nicht klar scheint, erläutert wissen zu wollen, geradezu, mit festem Tone, begleitet von einem durchdringenden Blicke, um den Grund der Sache. Stottern sie, suchen sie auszuweichen, so breche man entweder ab, um ihnen zu verstehn zu geben, daß man ihnen die Schande eines Betruges ersparen wolle, nehme aber nachher eine kältere Aufführung gegen sie an, oder man warne sie, mit freundlichem, doch ernsthaftem Wesen, ihrer nicht unwürdig zu handeln. Haben sie uns aber dennoch einmal hintergangen so nehme man die Sache nicht auf einen leichten, scherzhaften Fuß. Man zeige sich über diesen ersten falschen Schritt so entrüstet, sei nicht sogleich bereit, denselben zu verzeihn, und hilft dann alles das nicht, und sie fahren fort, uns mit Winkelzügen und Ränken zu hintergehn, so bestrafe man sie durch Verachtung und fortgesetztes Mißtraun, das man in alles, was sie reden und tun, setzt, bis sie sich bessern; aber selten kommt der, welchem schiefe Streiche zur Habitüde geworden, wieder auf den Weg der Wahrheit zurück. Alles hierüber Gesagte paßt also auch auf das Betragen gegen Lügner. |
Erstes Buch Über den Umgang mit sich selbst 16) Gegen ränkevolle Leute und Lügner. 1) Über die vier Haupt-Temperamente und deren Mischungen. 2) Über herrschsüchtige Leute. 3) Über Ehrgeizige. 4) Eitle. 5) Hochmutige, im Gegensatze von Stolzen. 6) Über sehr empfindliche Leute. 7) Über den Umgang mit Eigensinnigen. 8) Mit Zanksüchtigen, Widersprechern und solchen, die Paradoxa lieben. 9) Mit Jähzornigen. 10) Mit Rachgierigen. 11) Mit unentschlossenen, faulen und phlegmatischen Leuten. 12) Mit menschenfremden, mißtrauischen, argwöhnischen, mürrischen und verschlossenen Leuten. 13) Mit neidischen, hämischen, verleumderischen, schadenfrohen, mißgünstigen und eifersüchtigen Menschen. 14) Über den Geiz und die Verschwendung. 15) Über das Betragen gegen Undankbare. 17) Gegen Windbeutel. 18) Gegen Unverschämte, Müßiggänger, Schmarotzer, Schmeichler und zudringliche Leute. 19) Gegen Schurken. 20) Gegen zu bescheidene, zu furchtsame Menschen, 21) Gegen Unvorsichtige und Plauderhafte, Vorwitzige und Neugierige, Zerstreute und Vergessene. 22) Gegen Wunderliche, Sonderlinge und Launenhafte. 23) Über den Umgang mit dummen, schwachen, übertrieben gutherzigen, leichtgläubigen und solchen Menschen, die gewisse Liebhabereien und Steckenpferde haben. 24) Mit munteren und satirischen Leuten. 25) Mit Trunkenbolden, groben Wollüstlingen und andern lasterhaften Leuten. 26) Mit Enthusiasten, Überspannten, Romanhaften, Kraftgenies und exzentrischen Leuten. 27) Etwas von Andächtlern, Heuchlern und abergläubischen Leuten. 28) Von Deisten, Freigeistern und Religionsspöttern. 29) Über die Art, wie man Schwermütige, Tolle und Rasende behandeln müsse. Geschichte zweier Wahnsinniger. |