19) Gegen Schurken.
Jetzt werde ich im allgemeinen von dem Betragen gegen Schurken, das heißt gegen Leute, die von Grund aus schlecht sind, reden, obgleich ich dafürhalte, daß - ein bißchen Erbsünde abgerechnet - eigentlich kein Mensch von Grund aus ganz schlecht, wohl aber durch fehlerhafte Erziehung, Nachgiebigkeit gegen seine Leidenschaften oder durch Schicksale, Lagen und Verhältnisse, so verwildert sein könne, daß von seinen natürlichen guten Anlagen fast keine Spur mehr zu sehn ist. Hier aber kommt es nicht darauf an, wie jemand ein Schurke geworden, sondern wie er, wenn er ein solcher ist, müsse behandelt werden. Ich beziehe mich dabei zuerst auf das, was ich über den Umgang mit Feinden und über das Betragen gegen Verirrte und Gefallene sagen werde, und füge nur noch nachstehende Bemerkung hinzu: Daß man womöglich den Umgang mit schlechten Leuten fliehn müsse, wenn uns unsre Ruhe und unsre moralische Vervollkommnung am Herzen liegt, das versteht sich wohl von selber. Wenn ein Mann von festen Grundsätzen auch nicht eigentlich schlecht durch sie wird, so gewöhnt er sich doch nach und nach an den Anblick der Untaten und verliert jenen Abscheu gegen alles, was unedel ist, einen Abscheu, der zuweilen einzig hinreicht, uns in Augenblicken von Versuchung vor feinern Vergehungen zu bewahren. Leider aber zwingt uns unsre Lage zuweilen, mitten unter Schurken zu leben und mit ihnen gemeinschaftlich Geschäfte zu treiben, und da ist es denn nötig, gewisse Vorsichtigkeitsregeln nicht aus der Acht zu lassen. Glaube nicht, wenn Du einiges Verdienst von seiten des Kopfs und des Herzens hast, glaube nicht, es dahin zu bringen, daß Du von schlechten Menschen je gänzlich in Ruhe gelassen werden, noch mit ihnen in Frieden leben könntest. Es herrscht ein ewiges Bündnis unter Schurken und Pinseln, gegen alle verständigen und edlen Menschen, eine so sonderbare Verbrüderung, daß sie unter allen übrigen Menschen einander erkennen und bereitwillig die Hand reichen, möchten sie auch durch andre Umstände noch so sehr getrennt sein, sobald es darauf ankommt, das wahre Verdienst zu verfolgen und mit Füßen zu treten. Da hilft keine Art von Vorsichtigkeit und Zurückhaltung, da hilft nicht Unschuld, nicht Gradheit, da hilft nicht Schonung, noch Mäßigung, da hilft es nicht, seine guten Eigenschaften verstecken, mittelmäßig scheinen zu wollen. Niemand erkennt so leicht das Gute, das in Dir ist, als der, dem dies Gute fehlt. Niemand läßt innerlich dem Verdienste mehr Gerechtigkeit widerfahren als der Bösewicht; aber er zittert davor, wie Satan vor dem Evangelio, und arbeitet mit Händen und Füßen dagegen. Jene große Verbrüderung wird Dich ohne Unterlaß necken, Deinen Ruf antasten, bald zweideutig, bald übel von Dir reden, die unschuldigsten Deiner Worte und Taten boshaft auslegen - aber laß Dich das nicht anfechten! Würdest Du auch wirklich von Schurken eine Zeitlang gedrückt, so wird doch die Rechtschaffenheit und Konsequenz Deiner Handlungen am Ende siegen und der Unhold bei einer andern Gelegenheit sich selbst die Grube graben. Auch sind die Schelme nur so lange einig unter sich, als es nicht auf männliche Standhaftigkeit ankommt, solange sie im Dunkeln fechten können. Hole aber Licht herbei, und sie werden auseinanderrennen! Und wenn es nun gar zur Teilung der Beute ginge, dann würden sie sich untereinander bei den Ohren zausen und Dich indes mit Deinem Eigentume ruhig davonwandern lassen. Gehe Deinen graden Gang fort. Erlaube Dir nie schiefe Streiche, nie Schleichwege, um Schleichwegen zu begegnen, nie Ränke, um Ränke zu zerstören. Mache nie gemeinschaftliche Sache mit Bösewichten gegen Bösewichte. Handle großmütig! Unedle Behandlung und zu weit getriebenes Mißtrauen können den, welcher auf halbem Wege ist, ein Schelm zu werden, vollends dazu machen, und Großmut hingegen kann einen nicht ganz versteckten Unhold vielleicht auf einige Zeit wenigstens bessern und die Stimme des Gewissens in ihm erwecken. Aber er müsse fühlen, daß Du nur aus Huld, nicht aus Furcht also handelst. Er müsse fühlen, daß, wenn es auf das Äußerste kommt, wenn der Grimm eines unerschrocknen redlichen Mannes losbricht, der kühne, rechtschaffene Weise im niedrigsten Stande mächtiger ist als der Schurke im Purpur; daß ein großes Herz, daß Tugend, Klugheit und Mut stärker machen als erkaufte Heere, an deren Spitze ein Schuft steht. Was kann der fürchten, der nichts mehr zu verlieren hat, als das, was kein Sterblicher ihm rauben kann? Und was vermag in dem Augenblicke der äußersten, verzweifelten Notwehr ein feiger Sultan, ein ungerechter Despot, der in sich selbst einen Feind herumträgt, der ihm immer in die Flanke fällt, gegen den Niedrigsten seiner Untertanen, der ein reines Herz, einen hellen Kopf, Unerschrockenheit und gesunde Arme zu Bundesgenossen hat? Es ist unmöglich, sich von gewissen Leuten geliebt zu machen, und da kann es nicht schaden, wenn diese uns wenigstens fürchten. Es gibt Leute, die uns zu Vertraulichkeiten, zu gewissen Konfidenzen zu bewegen suchen, damit sie nachher Waffen gegen uns in Händen haben, womit sie uns drohen können, wenn wir ihnen nicht zu Gebote stehn wollen. Die Klugheit erfordert, davor auf seiner Hut zu sein. Beschenke den, von dem Du fürchtest, er werde Dich bestehlen, wenn Du glaubst, daß Großmut noch Eindruck auf ihn machen könnte! Ermuntre, ehre äußerlich Menschen, an denen Du irgendeine Tatkraft zum Guten findest. Bringe sie nicht ohne Not um Kredit. Es gibt Leute, die viel Gutes sagen, im Handeln aber heimliche Schalke sind, oder Menschen voll Inkonsequenz, Leichtsinn und Leidenschaften. Entlarve diese nicht, insofern es nicht der Folgen wegen sein muß! Sie wirken durch ihr Reden manches Gute, das nicht geschieht, wenn man sie verdächtig macht. Man sollte sie immer herumreisen lassen, um gute Zwecke zu befördern; allein sie müssen jeden Ort früh genug verlassen, um sich nicht zu verraten und durch ihr Beispiel nicht die Wirkung ihrer Lehren zu verderben. |
Erstes Buch Über den Umgang mit sich selbst 19) Gegen Schurken. 1) Über die vier Haupt-Temperamente und deren Mischungen. 2) Über herrschsüchtige Leute. 3) Über Ehrgeizige. 4) Eitle. 5) Hochmutige, im Gegensatze von Stolzen. 6) Über sehr empfindliche Leute. 7) Über den Umgang mit Eigensinnigen. 8) Mit Zanksüchtigen, Widersprechern und solchen, die Paradoxa lieben. 9) Mit Jähzornigen. 10) Mit Rachgierigen. 11) Mit unentschlossenen, faulen und phlegmatischen Leuten. 12) Mit menschenfremden, mißtrauischen, argwöhnischen, mürrischen und verschlossenen Leuten. 13) Mit neidischen, hämischen, verleumderischen, schadenfrohen, mißgünstigen und eifersüchtigen Menschen. 14) Über den Geiz und die Verschwendung. 15) Über das Betragen gegen Undankbare. 16) Gegen ränkevolle Leute und Lügner. 17) Gegen Windbeutel. 18) Gegen Unverschämte, Müßiggänger, Schmarotzer, Schmeichler und zudringliche Leute. 20) Gegen zu bescheidene, zu furchtsame Menschen, 21) Gegen Unvorsichtige und Plauderhafte, Vorwitzige und Neugierige, Zerstreute und Vergessene. 22) Gegen Wunderliche, Sonderlinge und Launenhafte. 23) Über den Umgang mit dummen, schwachen, übertrieben gutherzigen, leichtgläubigen und solchen Menschen, die gewisse Liebhabereien und Steckenpferde haben. 24) Mit munteren und satirischen Leuten. 25) Mit Trunkenbolden, groben Wollüstlingen und andern lasterhaften Leuten. 26) Mit Enthusiasten, Überspannten, Romanhaften, Kraftgenies und exzentrischen Leuten. 27) Etwas von Andächtlern, Heuchlern und abergläubischen Leuten. 28) Von Deisten, Freigeistern und Religionsspöttern. 29) Über die Art, wie man Schwermütige, Tolle und Rasende behandeln müsse. Geschichte zweier Wahnsinniger. |