46) Soll man viel oder wenig in Gesellschaften gehn?
Wenn die Frage entsteht: ob es gut sei, viel oder wenig in Gesellschaft zu erscheinen, so muß die Beantwortung derselben freilich nach den einzelnen Lagen, Bedürfnissen und nach unzähligen kleinen Umständen und Rücksichten bei jedem Menschen anders ausfallen; im ganzen aber kann man den Satz zur Richtschnur annehmen: daß man sich nicht aufdrängen, die Leute nicht überlaufen solle und daß es besser sei, wenn man es einmal nicht allen Menschen recht machen kann, daß gefragt werde, warum wir so selten, als geklagt, daß wir zu oft und allerorten erscheinen. Es gibt einen feinen Sinn dafür (wenn uns nicht übertriebene Eitelkeit und Selbstsucht die Augen blenden), einen Sinn, der uns sagt, ob wir gern gesehn oder überlästig sind, ob es Zeit ist fortzugehn, oder ob wir noch verweilen sollen.
Übrigens rate ich, wenn man sich so weit in seiner Gewalt haben kann, mit so wenig Leuten als möglich vertraulich zu werden, nur einen kleinen Zirkel von Freunden zu haben und diesen nur mit äußerster Vorsicht zu erweitern. Gar zu leicht mißbrauchen oder vernachlässigen uns die Menschen, sobald wir mit ihnen vollkommen vertraulich werden. Um angenehm zu leben, muß man fast immer ein Fremder unter den Leuten bleiben. Dann wird man geschont, geehrt, aufgesucht. - Deswegen ist das Leben in großen Städten so schön, wo man alle Tage andre Menschen sehn kann. Für einen Mann, der sonst nicht schüchtern ist, ist es ein Vergnügen, unter Unbekannten zu sitzen. Da hört man, was man sonst nicht hören würde; man wird nicht gehütet und kann in der Stille beobachten.
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