16) Sage jedem etwas Lehrreiches oder Angenehmes! Über Schmeichelei.
Gehe von niemand und laß niemand von Dir, ohne ihm etwas Lehrreiches oder etwas Verbindliches gesagt und mit auf den Weg gegeben zu haben; aber beides auf eine Art, die ihm wohltue, seine Bescheidenheit nicht empöre und nicht studiert scheine, daß er die Stunde nicht verloren zu haben glaube, die er bei Dir zugebracht hat, und daß er fühle, Du nehmest Interesse an seiner Person, es gehe Dir von Herzen, Du verkauftest nicht bloß Deine Höflichkeitsware ohne Unterschied jedem Vorübergehenden! Man verstehe mich also recht! Ich möchte gern, wenn es möglich wäre, alles leere Geschwätz aus dem Umgange verbannt sehn; möchte, daß man - ohne Ängstlichkeit - auf sich acht hätte, nie etwas zu sagen, wovon der, welcher es anhören muß, weder Nutzen noch wahres Vergnügen haben, woran er weder mit dem Kopfe noch mit dem Herzen Anteil nehmen könnte. Weit entfernt bin ich also, das System solcher Leute empfehlen zu wollen, die jeden ohne Unterlaß mit leeren Komplimenten, Schmeicheleien oder Lobsprüchen in die Verlegenheit setzen, ihnen auf tausend nicht eins antworten zu können. Übrigens tadle ich auch nicht ein gut gemeintes Höflichkeitswort, ein verdientes, bescheidenes, zu fernerm Guten ermunterndes Lob. Ein Beispiel wird meine wahren Grundsätze darüber deutlicher machen: Ich saß einst an einer fremden Tafel zwischen einer hübschen, verständigen jungen Dame und einem kleinen, buckligen, garstigen Fräulein von etwa vierzig Jahren. Ich beging die Unhöflichkeit, die ganze Mahlzeit hindurch, mich nur mit jener zu unterhalten, zu dieser hingegen kein Wort zu reden. Beim Nachtische erst erinnerte ich mich meiner Unart; und nun machte ich den Fehler gegen die Höflichkeit durch einen andern gegen die Aufrichtigkeit und Wahrhaftigkeit gut. Ich wendete mich zu ihr und redete von einer Begebenheit, die vor zwanzig Jahren vorgegangen war. - Sie wußte nichts davon. - »Es ist kein Wunder«, sagte ich, »Sie waren damals noch ein Kind.« Das kleine Wesen freute sich innigst darüber, daß ich sie für so jung hielte, und dies einzige Wort erwarb mir ihre günstige Meinung - sie hätte mich dieser niedrigen Schmeichelei wegen verachten sollen. Wie leicht hätte ich einen Gegenstand zu einem Gespräche mit ihr finden können, das ihr auf irgendeine Weise interessant gewesen wäre! und es war meine Pflicht, daran zu denken und ihr nicht einen ganzen Mittag hindurch die Tür der Konversation zu verschließen. Jene elende Schmeichelei hingegen war eine unwürdige Art, den ersten Fehler zu verbessern.
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