42) Leichtigkeit im Umgange

Gewissen Leuten ist eine Leichtigkeit im Umgange und die Gabe, geschwind Bekanntschaften zu machen und Zuneigung zu gewinnen, wie angeboren; andern hingegen hängt von Jugend auf eine gewisse Blödigkeit und Schüchternheit an, die sie nicht abzulegen vermögen, wenngleich sie täglich fremde Leute allerorten um sich sehen. Diese Blödigkeit nun ist freilich sehr oft die Folge einer fehlerhaften Erziehung, sowie auch zuweilen die Wirkung einer heimlichen Eitelkeit, die in Verlegenheit gerät, aus Furcht, nicht zu glänzen. Manchen Menschen aber scheint diese Schüchternheit gegen ganz fremde Leute wirklich von Natur eigen zu sein, und alle Mühe, welche sie sich dagegen geben, ist verloren. Ein regierender Fürst, einer der edelsten und verständigsten Männer, die ich kenne, und der auch wahrlich seines Äußern wegen sich nicht zu schämen, noch zu fürchten braucht, nachteilige Eindrücke zu machen, hat mir versichert, daß, obgleich ihn sein Stand von Kindheit an in die Lage gesetzt habe, täglich große Zirkel und viel fremde Gesichter zu sehn, er dennoch an keinem Tage in sein Vorzimmer trete, wo der versammelte Hof seiner wartete, ohne vor Verlegenheit auf einen Augenblick ganz blind zu werden. Übrigens fällt bei diesem liebenswürdigen Herrn, sobald er sich ein wenig erholt hat, diese Schüchternheit weg, und dann redet er freundlich und offen mit jedermann und sagt bessere Dinge, als gewöhnlich Fürsten bei solchen Gelegenheiten über Wetter, böse Wege, Pferde und Hunde zu sagen wissen.

Eine gewisse Leichtigkeit im Umgange also, die Gabe, sich gleich bei der ersten Bekanntschaft vorteilhaft darzustellen, mit Menschen aller Art zwanglos sich in Gespräche einzulassen und bald zu merken, wen man vor sich hat und was man mit jedem reden könne und müsse, das sind Eigenschaften, die man zu erwerben und auszubauen trachten soll. Doch wünsche ich, daß dies nie in jene den Aventuriers so eigene Unverschämtheit und Zudringlichkeit ausarte, die oft in weniger als einer Stunde Frist einer ganzen, fremden Tischgesellschaft im Wirtshause ihre Lebensläufe abgefragt und dagegen den ihrigen erzählt, Dienste und Freundschaft angeboten und Dienste, Verwendung und Hilfe für sich erbeten haben.

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Über den Umgang mit Menschen


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Erstes Buch
Allgemeine Bemerkungen und Vorschriften über den Umgang mit Menschen
42) Leichtigkeit im Umgange;


1) Jeder Mensch muß sich in der Welt selbst gelten machen. Anwendung dieses Satzes.
2) Strebe nach Vollkommenheit; aber nicht nach dem Scheine der Vollkommenheit!
3) Sei nicht zu sehr ein Sklave der Meinung andrer!
4) Enthülle nicht die Schwächen Deiner Nebenmenschen!
5) Eigne Dir nicht das Verdienst andrer zu!
6) Verbirg Deinen Kummer!
7) Rühme nicht zu laut Dein Glück!
8) Verliere nicht die Zuversicht!
9) Suche Gegenwart des Geistes zu haben!
10) Nimm, so wenig als möglich, von andern Wohltaten an!
11) Halte streng Wort und sei wahrhaft!
12) Sei pünktlich, ordentlich, fleißig!
13) Interessiere Dich für andre, wenn Du willst, daß andre sich für Dich interessieren sollen!
14) Sei nicht zu offen herzig!
15) Alle Menschen wollen amüsiert sein. Über das Spaßmachen.
16) Sage jedem etwas Lehrreiches oder Angenehmes! Über Schmeichelei.
17) Über Spott und Medisance.
18) Über Anekdoten.
19) Trage keine Nachrichten aus einem Hause in das andre!
20) Sei vorsichtig in Tadel und Widerspruch!
21) Rede nicht zu viel und nicht langweilig!
22) Noch von Dingen, die nur Dich interessieren!
23) Über Egoismus.
24) Widersprich Dir nicht im Reden!
25) Wiederhole Dich nicht!
26) Vermeide Zweideutigkeiten;
27) Gemeinsprüche;
28) Unnütze Fragen!
29) Lerne Widerspruch ertragen!
30) Wo man sich zur Freude versammelt, da rede nicht von Geschäften!
31) Über Religionsgespräche.
32) Sei vorsichtig in Gesprächen über andrer Gebrechen!
33) Regeln beim Briefwechsel.
34) Suche niemand lächerlich zu machen!
35) Schrecke, zerre, beunruhige und necke niemand!
36) Bringe bei niemand unangenehme Dinge in Erinnerung!
37) Nimm nicht teil an fremdem Spotte!
38) Über Disputiergeist.
39) Laß jeden seine Handlungen selbst verantworten, wenn Du nicht sein Vormund bist!
40) Betragen, wenn uns Langeweile gemacht wird.
41) Über Verschwiegenheit;
43) Wohlredenheit und äußerlicher Anstand;
44) Kleidung.
45) Über kleine gesellschaftliche Unschicklichkeiten.
46) Soll man viel oder wenig in Gesellschaften gehn?
47) Man hüte sich vor zu großen Forderungen!
48) Unterschied im äußern Betragen.
49) Sei, was Du bist, immer und ganz!
50) Gib andern Gelegenheit zu glänzen!
51) Man kann in jeder Gesellschaft etwas lernen.
52) Mit wem soll man umgehn?
53) Über den Umgang in großen Städten, in kleinern, und auf dem Lande.
54) In fremden Gegenden.
55) Verflechte niemand in Deine Privat-Zwistigkeiten!
56) Wenn Du etwas in der Welt erlangen willst, so mußt Du darum bitten.
57) Grenzen der Dienstfertigkeit.
58) Wie man die Menschen beurteilen solle.
59) Vorsichtigkeits-Regeln.
60) Ob diese Regeln für alle Menschen passen?
61) Vor allen Dingen handle immer konsequent!
62) Habe immer ein gutes Gewissen!
63) Inwiefern auch Frauenzimmer von diesen Regeln Gebrauch machen können.

Der Gentleman.
Der Gentleman
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