32) Sei vorsichtig in Gesprächen über andrer Gebrechen!

Wenn Du von körperlichen, geistigen, moralischen oder andern Gebrechen redest oder Anekdoten erzählst, die gewisse Grundsätze oder Vorurteile lächerlich machen oder gewisse Stände in ein nachteiliges Licht setzen sollen, so siehe Dich vorher wohl um, ob niemand gegenwärtig sei, der das Übel aufnehmen, diesen Tadel oder Spott auf sich oder seine Verwandten ziehn könnte.

Halte Dich über niemandes Gestalt, Wuchs und Bildung auf! Es steht in keines Menschen Gewalt, diese zu ändern. Nichts ist kränkender, niederschlagender und empörender für den Mann, der unglücklicherweise eine etwas auffallende Gesichtsbildung oder Figur hat, als wenn er bemerkt, daß diese der Gegenstand der Verspottung oder Befremdung wird. Leuten, die ein wenig mit der großen Welt bekannt sind und unter Menschen von allerlei Formen und Ansehn gelebt haben, sollte man darüber billig gar nicht mehr erinnern dürfen; aber leider trifft man hie und da, selbst unter fürstlichen Personen, besonders unter Damen, solche an, die so wenig Gewalt über sich oder so wenig Begriffe von Wohlanständigkeit und Billigkeit haben, daß sie die Eindrücke, welche ein ungewöhnlicher Anblick von der Art auf sie macht, nicht verbergen können. - Das ist schwach, und wenn man noch dabei überlegt, wie relativ und dem verschiedenen Geschmacke unterworfen die Begriffe von Schönheit und Häßlichkeit sind, wie so wenig auf sichre Grundsätze beruhend unsre physiognomische Wissenschaft ist und wie oft unter einer anscheinend häßlichen Larve ein schönes, edles, warmes, großes Herz mit einem feinen, tiefdenkenden Kopf steckt, so sieht man leicht, daß man sehr selten Recht, auf das äußere Ansehn eines Menschen nachteilige Folgerungen zu bauen, und nie Befugnis haben kann, die Eindrücke, welche ein solcher Anblick etwa auf uns macht, zu jemandes Kränkung durch Lachen oder auf andre Art kundwerden zu lassen.

Außer einer sonderbaren Figur können uns aber noch andre Dinge an einem Menschen auffallend sein, zum Beispiel: lächerliche, phantastische, abgeschmackte Gebärden, Manieren, Verzerrungen des Körpers, Unbekanntschaft mit gewissen Sitten, Unvorsichtigkeiten im Betragen, ungewöhnlicher, altmodischer Anzug, u. dgl. Es gehört nicht weniger zu einer guten Lebensart, hierüber nicht durch Lachen oder durch Zeichen, die man einem der Anwesenden gibt, sein Befremden zu erkennen zu geben und dadurch den armen Mann, der sich dergleichen zuschulden kommen läßt, noch mehr in Verlegenheit zu setzen.

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Über den Umgang mit Menschen


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Erstes Buch
Allgemeine Bemerkungen und Vorschriften über den Umgang mit Menschen
32) Sei vorsichtig in Gesprächen über andrer Gebrechen!


1) Jeder Mensch muß sich in der Welt selbst gelten machen. Anwendung dieses Satzes.
2) Strebe nach Vollkommenheit; aber nicht nach dem Scheine der Vollkommenheit!
3) Sei nicht zu sehr ein Sklave der Meinung andrer!
4) Enthülle nicht die Schwächen Deiner Nebenmenschen!
5) Eigne Dir nicht das Verdienst andrer zu!
6) Verbirg Deinen Kummer!
7) Rühme nicht zu laut Dein Glück!
8) Verliere nicht die Zuversicht!
9) Suche Gegenwart des Geistes zu haben!
10) Nimm, so wenig als möglich, von andern Wohltaten an!
11) Halte streng Wort und sei wahrhaft!
12) Sei pünktlich, ordentlich, fleißig!
13) Interessiere Dich für andre, wenn Du willst, daß andre sich für Dich interessieren sollen!
14) Sei nicht zu offen herzig!
15) Alle Menschen wollen amüsiert sein. Über das Spaßmachen.
16) Sage jedem etwas Lehrreiches oder Angenehmes! Über Schmeichelei.
17) Über Spott und Medisance.
18) Über Anekdoten.
19) Trage keine Nachrichten aus einem Hause in das andre!
20) Sei vorsichtig in Tadel und Widerspruch!
21) Rede nicht zu viel und nicht langweilig!
22) Noch von Dingen, die nur Dich interessieren!
23) Über Egoismus.
24) Widersprich Dir nicht im Reden!
25) Wiederhole Dich nicht!
26) Vermeide Zweideutigkeiten;
27) Gemeinsprüche;
28) Unnütze Fragen!
29) Lerne Widerspruch ertragen!
30) Wo man sich zur Freude versammelt, da rede nicht von Geschäften!
31) Über Religionsgespräche.
33) Regeln beim Briefwechsel.
34) Suche niemand lächerlich zu machen!
35) Schrecke, zerre, beunruhige und necke niemand!
36) Bringe bei niemand unangenehme Dinge in Erinnerung!
37) Nimm nicht teil an fremdem Spotte!
38) Über Disputiergeist.
39) Laß jeden seine Handlungen selbst verantworten, wenn Du nicht sein Vormund bist!
40) Betragen, wenn uns Langeweile gemacht wird.
41) Über Verschwiegenheit;
42) Leichtigkeit im Umgange;
43) Wohlredenheit und äußerlicher Anstand;
44) Kleidung.
45) Über kleine gesellschaftliche Unschicklichkeiten.
46) Soll man viel oder wenig in Gesellschaften gehn?
47) Man hüte sich vor zu großen Forderungen!
48) Unterschied im äußern Betragen.
49) Sei, was Du bist, immer und ganz!
50) Gib andern Gelegenheit zu glänzen!
51) Man kann in jeder Gesellschaft etwas lernen.
52) Mit wem soll man umgehn?
53) Über den Umgang in großen Städten, in kleinern, und auf dem Lande.
54) In fremden Gegenden.
55) Verflechte niemand in Deine Privat-Zwistigkeiten!
56) Wenn Du etwas in der Welt erlangen willst, so mußt Du darum bitten.
57) Grenzen der Dienstfertigkeit.
58) Wie man die Menschen beurteilen solle.
59) Vorsichtigkeits-Regeln.
60) Ob diese Regeln für alle Menschen passen?
61) Vor allen Dingen handle immer konsequent!
62) Habe immer ein gutes Gewissen!
63) Inwiefern auch Frauenzimmer von diesen Regeln Gebrauch machen können.
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