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19) Über die Verstellung der Weiber.
Das weibliche Geschlecht besitzt in viel höherm Grade als wir die Gabe, seine wahren Gesinnungen und Empfindungen zu verbergen. Selbst Frauenzimmer von weniger feinern Verstandeskräften haben zuweilen eine besondre Fertigkeit in der Kunst, sich zu verstellen. Es gibt Fälle, wo diese Kunst ihnen Schutz gegen die Nachstellungen der Männer gewährt. Der Verführer hat gewonnenes Spiel, wenn er bemerkt, daß das Herz der Schönen oder ihre Sinnlichkeit mit ihm gegen ihre Grundsätze gemeinschaftliche Sache macht. Also rechne man es ihnen nicht zum Vorwurfe, wenn sie zuweilen anders scheinen, als sie sind, aber man nehme darauf Rücksicht in dem Umgange mit ihnen, man glaube nicht immer, daß ihnen derjenige gleichgültig sei, dem sie mit merklicher Kälte begegnen, noch daß sie sich vorzüglich für den interessieren, mit dem sie öffentlich vertraulich umgehen, den sie auszuzeichnen scheinen. Oft tun sie dies grade, um ihr Spiel zu verbergen, wenn es nicht etwa bloß Neckerei oder Wirkung ihrer Laune, ihres Eigensinnes ist. Sie ganz zu entziffern, dazu gehört tiefes Studium des weiblichen Herzens, vieljähriger Umgang mit den Feinern unter ihnen, kurz, mehr als in diesen Blättern entwickelt werden kann.
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