14) Über kleine unschädliche Gefälligkeiten gegen die Großen. Über ihre Liebhabereien und ihren Hang zum Reisen.

Es gibt aber geringe, unschuldige Gefälligkeiten gegen die Großen der Erde, die man ihnen, ohne sich ein Gewissen daraus zu machen, erweisen, und unwichtige Forderungen von ihrer Seite, die man ohne niedrige Schmeichelei erfüllen kann. Diese verzogenen Schoßkinder des Glücks sind nämlich von Jugend auf daran gewöhnt worden, daß man sich in Kleinigkeiten nach ihren Phantasien fügt, ihren Geschmack zur Richtschnur annimmt, ihre Liebhabereien artig findet und alles vermeidet, was ihnen aus Vorurteil oder kindischem Eigensinne zuwider ist. Auch die Besten unter ihnen sind von solchen Grillen und Einbildungen nicht ganz frei, und wenn man nun auf einen sonst redlichen, edeln Fürsten dadurch zum Guten wirken kann, daß man sich hierzu bequemt, oder wenn unser und unsrer Familie zeitliches Glück in seinen Händen ist - wer wird da nicht nachgebend sein und sich ein wenig nach einem solchen richten? So reden zum Beispiel manche Fürstenkinder sehr geschwind und undeutlich und sehen es nicht gern, wenn man noch einmal fragt, sondern wollen gleich verstanden sein. Freilich wäre es besser, wenn man ihnen diese Unart in der Kindheit abgewöhnt hätte; aber es ist nun einmal nicht geschehen; oder sie lieben Pferde, Hunde, bunte Soldätchen, Schauspiele, Pfeifenköpfe, Bilder, Geiger, Fiedler, komponieren auch wohl selbst, bauen, pflanzen, errichten Akademien, Museen und dergleichen. - Wie unschuldig ist es nicht da, zuweilen mit einzustimmen, einige Kennerschaft zu zeigen? Nur muß man sie in ihren Lieblingsfächern nicht übersehn, nicht übertreffen wollen, welches leicht zu geschehn pflegt, da sie oft von den Dingen, womit sie sich am mehrsten beschäftigen, am wenigsten verstehen (wie sich denn über den vorsichtigen Umgang mit vornehmen Komponisten und unwissenden Mäzenaten ein weitläufiges Kapitel schreiben ließe). Auch was gewisse Kleidertrachten, Manieren, den Ton der Stimme, was Stil, Handschrift und mehr solche Dinge betrifft, darüber haben sie zuweilen gewisse eigene Meinungen, die man schonen muß, wenn man sich ihnen nicht unangenehm machen will. Übrigens versteht sich's, daß diese Gefälligkeit aufhören soll, sobald dieselbe schädlichen Einfluß auf den Charakter haben kann, wenn sie dadurch im Egoismus merklich bestärkt, von ernsthaften Beschäftigungen abgezogen, unbillig gegen andre, ungerecht gegen wirkliche Verdienste werden, oder wenn ihre Liebhabereien von solcher Art sind, daß dadurch ihr Herz verwildert, verhärtet, grausam wird.

Zu den mehrenteils schädlichen Liebhabereien großer, besonders regierender Herrn gehört auch die Lust, außer Lande zu reisen. Ungern möchte ich einen Fürsten darin bestärken. Sie rennen da gewöhnlich in fremden Himmelsgegenden herum, bevor sie ihr eigenes Land kennen, in welchem tausend Gegenstände mehr als die Karnevals von Venedig und die Pferderennen in England ihrer Aufmerksamkeit wert sind, kaufen für den sauren Erwerb ihrer Untertanen ausländische Possen, Krankheiten des Leibes und der Seele und bringen nicht selten große Forderungen, Hang zur Verschwendung, Wollust und Üppigkeit, böse Laune, Müßiggang, Avantüriers u. dgl. in ihre arme Residenz zurück.

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Über den Umgang mit Menschen

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Drittes Buch
14) Über kleine unschädliche Gefälligkeiten gegen die Großen. Über ihre Liebhabereien und ihren Hang zum Reisen.

1) Charakter der mehrsten Großen und Reichen.
2) Unterschied im Umgange mit ihnen, je nachdem man von ihnen abhängt, ihrer bedarf oder nicht.
3) Man soll sich den Vornehmern und Reichern auf keine Weise aufdrängen.
4) Man muß sich nicht das Ansehn geben, als gehörte man zu der Klasse der Vornehmen oder lebte mit ihnen in der engsten Vertraulichkeit, noch ihre Gewohnheiten oder gar ihre Fehler sich eigen machen.
5) Man baue nicht auf alle freundlichen Blicke der Großen und lasse sich da durch nie bewegen, sich mit ihnen gemein zu machen!
6) Grenzen der Gefälligkeit gegen solche Großen, in deren Händen unser bürgerliches Glück ist.
7) Man soll sich von ihnen zu unedeln und gefährlichen Diensten nicht mißbrauchen, sich in keine bedenklichen Händel ziehn noch gewisse Dinge vertraun lassen.
8) Über die Dankbarkeit der Vornehmen und Reichen. Man soll ihnen nichts aufopfern, nichts schenken, nichts leihen, von ihnen nichts borgen.
9) Trage nichts dazu bei, sie und die Ihrigen noch mehr zu verderben, weder durch Schmeichelei noch auf andre Art!
10) Überhaupt soll man bei ihnen vorsichtig im Reden sein und sich aller Medisance enthalten, übrigens aber sie angenehm zu unterhalten suchen.
11) Vorsichtigkeitsregeln in Ansehung solcher Vertraulichkeit mit andern Menschen, woraus Fürsten und Vornehme Verdacht schöpfen können.
12) Rede mit den Großen der Erde nicht von Deinen häuslichen Umständen! Klage ihnen nicht Dein Leid! Vertraue ihnen nichts! Suche ihnen zu zeigen, daß Du ihrer nicht bedarfst! Mache Dich vielmehr ihnen notwendig!
13) Aber hüte Dich, sie Dein Übergewicht fühlen zu lassen, sie zu verdunkeln, besonders Deine Vorgesetzten!
15) Betragen, wenn Vornehme und Reiche um Rat fragen.
16) Alle diese Vorsichtigkeitsregeln werden doppelt wichtig im Umgange mit vornehmen Dummköpfen.
17) Betragen, wenn man der Liebling eines Erdengötzen ist.
18) Aufführung gegen einen gestürzten Großen.
19) Über die Almosen der Großen.
20) Nicht alle Großen der Erde haben die Fehler ihres Standes. Es gibt edle, gute Menschen unter ihnen.
2l) Noch etwas über den Umgang der Großen und Reichen untereinander.
22) Spöttle nicht über das Kleine an kleinen Höfen!
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