10) Überhaupt soll man bei ihnen vorsichtig im Reden sein und sich aller Medisance enthalten, übrigens aber sie angenehm zu unterhalten suchen.

Man hüte sich, mit ihnen von Plänen und Projekten zu reden, von denen man nicht gewiß ist, daß sie, wenn sie auf dies bloße Wort also unternommen werden, ausführbar sind, teils aus Furcht, sie zu mißleiten (besonders wenn sie uns vielleicht nur halb verstanden haben und nun gleich für sich an das Werk gehen), teils damit nicht die Schuld auf uns falle, wenn der Erfolg nicht der Erwartung gemäß ist. Ich erinnere mich (um nur ein ganz kleines Beispiel zu geben), daß einst ein gewisser Prinz mit mir von einem platten Dache redete, das er auf sein Gartenhaus hatte legen, aber wieder abnehmen lassen, weil er es zu schwer befunden. Mir fiel grade ein, daß ich von einem französischen Ingenieuroffizier gehört hatte: Man könnte ein wohlfeiles, leichtes und dauerhaftes plattes italienisches Dach aus einer Menge Lagen von blauem Zuckerpapiere, zwischendurch und obenauf mit Schiffteer beschmiert und mit Kies (Flußsand) bestreuet, verfertigen. Dies erzählte ich dem Prinzen beiläufig, ohne jedoch für die Güte der Sache einzustehn. Lange nachher erfuhr ich, daß er den Versuch - wer weiß wie? - gemacht hätte, daß dieser mißlungen war und daß er nicht undeutlich zu verstehn gegeben hätte, ich sei ein Mann, auf dessen Projekte man sich nicht zu sicher einlassen dürfte.

Überhaupt kann man kaum vorsichtig genug in seinen Reden mit ihnen sein. Man enthalte sich daher in ihrer Gegenwart aller nachteiligen Urteile über andre Leute, aller Medisance. Sie pflegen dergleichen ganz gern zu hören, aber die Folgen sind oft sehr unglücklich. Zuerst setzt man dadurch sich und andre in ihren Augen herab, denn sie lachen zwar mit, hassen aber doch den Lästerer und Ausspäher fremder Fehler, bei dem heimlichen Bewußtsein ihrer eigenen vielfachen Gebrechen (so gern sie dies auch unterdrücken), und da sie schon alle übrigen Menschen verachten, so wächst diese Verachtung durch Aufdeckung fremder Schwachheiten. Sodann mißbrauchen sie wohl gelegentlich unsern Namen, kompromittieren uns, indem sie unsern Einfall nacherzählen, hetzen uns mit andern zusammen. Endlich weiß man zuweilen nicht, ob nicht das zeitliche Glück solcher Menschen, von denen man nachteilige Begriffe erweckt, in ihren Händen ist, und da erstaunt man, wenn man erfährt, wie oft ein einziges, ohne böse Absicht hingeworfenes Wort feste Wurzel faßt und nach langer Zeit noch die schädlichsten, unglücklichsten Folgen haben kann. Das Gute gleitet auf ihren unteilnehmenden Herzen ab, das Böse hingegen setzt sich fest sind wird so leicht nicht ausgelöscht. Ich könnte davon die sonderbarsten Beispiele anführen, wenn ich nicht fürchtete, dadurch die Geduld der Leser zu ermüden. Am allervorsichtigsten aber soll man in seinen Gesprächen über andre Personen von höherem Stande sein. Obgleich die Erdengötter sich untereinander selten lieben, sondern mehrenteils durch allerlei Leidenschaften getrennt sind, so hören sie doch nicht gern, daß man die privilegierten Lieblinge des Himmels in ihrer Gegenwart ohne Ehrerbietung nennt. Übrigens wollen die Vornehmen und Reichen angenehm unterhalten und in fröhliche Laune gesetzt sein. Tue dies auf unschuldige Weise, wenn Dir an ihrer Gunst gelegen ist. Aber erniedrige Dich nicht zu ihrem besoldeten Spaßmacher, der Schwänke liefern muß, so oft sie winken, und von dem sie kein vernünftiges Wort hören mögen.

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Über den Umgang mit Menschen

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Auch gut: Der neue Knigge

Drittes Buch
10) Überhaupt soll man bei ihnen vorsichtig im Reden sein und sich aller Medisance enthalten, übrigens aber sie angenehm zu unterhalten suchen.

1) Charakter der mehrsten Großen und Reichen.
2) Unterschied im Umgange mit ihnen, je nachdem man von ihnen abhängt, ihrer bedarf oder nicht.
3) Man soll sich den Vornehmern und Reichern auf keine Weise aufdrängen.
4) Man muß sich nicht das Ansehn geben, als gehörte man zu der Klasse der Vornehmen oder lebte mit ihnen in der engsten Vertraulichkeit, noch ihre Gewohnheiten oder gar ihre Fehler sich eigen machen.
5) Man baue nicht auf alle freundlichen Blicke der Großen und lasse sich da durch nie bewegen, sich mit ihnen gemein zu machen!
6) Grenzen der Gefälligkeit gegen solche Großen, in deren Händen unser bürgerliches Glück ist.
7) Man soll sich von ihnen zu unedeln und gefährlichen Diensten nicht mißbrauchen, sich in keine bedenklichen Händel ziehn noch gewisse Dinge vertraun lassen.
8) Über die Dankbarkeit der Vornehmen und Reichen. Man soll ihnen nichts aufopfern, nichts schenken, nichts leihen, von ihnen nichts borgen.
9) Trage nichts dazu bei, sie und die Ihrigen noch mehr zu verderben, weder durch Schmeichelei noch auf andre Art!
11) Vorsichtigkeitsregeln in Ansehung solcher Vertraulichkeit mit andern Menschen, woraus Fürsten und Vornehme Verdacht schöpfen können.
12) Rede mit den Großen der Erde nicht von Deinen häuslichen Umständen! Klage ihnen nicht Dein Leid! Vertraue ihnen nichts! Suche ihnen zu zeigen, daß Du ihrer nicht bedarfst! Mache Dich vielmehr ihnen notwendig!
13) Aber hüte Dich, sie Dein Übergewicht fühlen zu lassen, sie zu verdunkeln, besonders Deine Vorgesetzten!
14) Über kleine unschädliche Gefälligkeiten gegen die Großen. Über ihre Liebhabereien und ihren Hang zum Reisen.
15) Betragen, wenn Vornehme und Reiche um Rat fragen.
16) Alle diese Vorsichtigkeitsregeln werden doppelt wichtig im Umgange mit vornehmen Dummköpfen.
17) Betragen, wenn man der Liebling eines Erdengötzen ist.
18) Aufführung gegen einen gestürzten Großen.
19) Über die Almosen der Großen.
20) Nicht alle Großen der Erde haben die Fehler ihres Standes. Es gibt edle, gute Menschen unter ihnen.
2l) Noch etwas über den Umgang der Großen und Reichen untereinander.
22) Spöttle nicht über das Kleine an kleinen Höfen!

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