1) Über den Schriftstellerberuf. Es kann auch einem verständigen Manne begegnen, etwas Mittelmäßiges drucken zu lassen, nie aber etwas, das der Moralität schadet, Unsinn verbreitet und einen andern vorsätzlich kränkt.
Ich halte es für billig, bevor ich dies Werk über den Umgang mit Menschen schließe, mit meinen Lesern auch ein paar Worte über unsre wechselseitigen Verhältnisse gegeneinander zu reden. Zuerst also einige Bemerkungen über den Beruf, den ein Mann haben kann, ein Buch zu schreiben. Es ist in der Vorrede zum ersten Teil gesagt worden, daß ich die Schriftstellerei in unsern Zeiten für nichts mehr als für schriftliche Unterredung mit der Lesewelt halte und daß man es dann im freundschaftlichen Gespräche so genau nicht nehmen dürfe, wenn auch einmal ein unnützes Wort mit unterliefe. Man soll es also dem Schriftsteller nicht übel ausdeuten, wenn er, verführt von ein wenig Geschwätzigkeit, von der Begierde, über irgendeine Materie allerlei Arten von Menschen seine Gedanken mitzuteilen, etwas drucken läßt, daß nicht grade die Quintessenz von Weisheit, Witz, Scharfsinn und Gelehrsamkeit enthält. Es ist überhaupt sehr viel schwerer, als man glauben sollte, seine eignen Produkte zu beurteilen; nicht nur weil unsre Eitelkeit da in das Spiel kommt, sondern auch weil die Objekte, über deren Beobachtung wir lange gebrütet, für uns eben durch das Nachdenken, welches wir darauf verwendet, einen solchen Wert bekommen haben können, daß wir unsre Gedanken darüber für äußerst wichtig halten, indes einem andern, was wir auch davon sagen mögen, unwichtig und gemein vorkommt. Und haben wir etwa gar Sprache und Beredsamkeit nicht in unsrer Gewalt oder sind verstimmt zu der Zeit, wenn wir unsre Gedanken zu Papier bringen wollen, oder vergessen, daß der Gegenstand, über welchen wir schreiben, nur durch kleine spezielle Beziehungen auf unsre damalige Lage, die sich nicht mit übertragen lassen, uns am Herzen liegt; oder dies Herz ist zu voll, um, was es empfindet, nach der Reihe hererzählen zu können; so geschieht es, daß wir etwas schreiben, welches uns, die wir alle Nebenbegriffe daranknüpfen, die dazu gehören, das Bild auszumalen, sehr interessant scheint, jeden andern aber gähnen macht und mit Unwillen gegen uns erfüllt. Indem es nun desfalls leicht geschehn kann, daß selbst ein verständiger Mann, von Eitelkeit geblendet oder durch jene Gefühle irregeleitet, ein Buch schreibt, das andere Menschen für ein unnützes und langweiliges Buch halten, so kann und darf es doch nie einem verständigen Manne begegnen, etwas öffentlich vor dem Publico zu reden, das gegen Moralität und gesunde Vernunft stritte oder wodurch er einem seiner Mitmenschen Schaden zufügte. Denn wenngleich Schriftstellerei nur Unterredung ist, so ist sie doch eine solche Unterredung, auf welche man sich so lange Zeit zu besinnen Muße gehabt hat, als dazu gehört, jeden unsittlichen, ganz schiefen und boshaften Gedanken zu unterdrücken. Ich meine daher, alles, was das Publikum von einem Schriftsteller, der ohne zu weit getriebne Ansprüche auftritt, fordern kann, ist, daß er durch seine Werke nichts dazu beitrage, Korruption, Dummheit und Intoleranz zu verbreiten. Alles übrige: Beruf zu schreiben, Wahl des Gegenstands, Einkleidung, Ansprüche auf Ruhm, Beifall, Lob, zu stiftender Nutzen, einzunehmender Gewinn, Hoffnung auf Unsterblichkeit - das alles ist seine Sache, und es geht auf seine Gefahr, wenn er sich dem Schimpfe aussetzt, entweder in der Stille zu Fuße vom Parnasse wieder herunterschleichen zu müssen oder von der Meute der Rezensenten parforce gejagt zu werden. |
Auch gut: Der neue Knigge Drittes Buch Über das Verhältnis zwischen Schriftsteller und Leser. 1) Über den Schriftstellerberuf. Es kann auch einem verständigen Manne begegnen, etwas Mittelmäßiges drucken zu lassen, nie aber etwas, das der Moralität schadet, Unsinn verbreitet und einen andern vorsätzlich kränkt. 2) Was noch mehr dazu gehöre, in der Welt als Schriftsteller sein Glück zu machen. 3) Über das Betragen des Lesers gegen den Schriftsteller und über Kritik. 4) Über Lektüre. |