1) Etwas von Ärzten; welche man wählen und wie man sich gegen sie betragen solle?
Machen wir den Anfang mit den Ärzten. Kein Stand ist für das Menschengeschlecht wohltätiger als dieser, wenn er seine Bestimmung erfüllt. Der Mann, welcher alle Schätze der Natur durchwühlt und ihre Kräfte erforscht, um Mittel aufzusuchen, das Meisterstück der irdischen Schöpfung, den Menschen, von den Plagen zu befreien, von denen sein sichtbarer, materieller Teil befallen wird, die seinen Geist zu Boden drücken und oft schon seine Maschine zerstören, ehe noch einmal sich jede Kraft in ihm entwickelt hat; der Mann, der sich nicht scheuet vor dem Anblicke des Elendes, Jammers und Schmerzes, der seine Gemächlichkeit, seine Ruhe, selbst seine eigene Gesundheit und sein Leben daranwagt, um den leidenden Brüdern beizustehn, dieser Mann verdient Verehrung und warmen Dank. Er gibt einer zahlreichen Familie ihren Beschützer, ihren Erhalter, ihren Wohltäter wieder, erhält unmündigen Kindern ihren Vater, Ernährer und Erzieher, führt vom Rande des Grabes den edeln Gatten zurück in die Arme seines treuen Weibes - mit einem Worte, kein Stand hat so unmittelbar segenvollen Einfluß auf das Wohl der Welt, auf das Glück, auf die Ruhe, auf die Zufriedenheit der Mitbürger als der eines Arztes. Und wenn man bedenkt, welch ein Umfang von Kenntnissen dazu gehört! - Man wird es ohne Genie in keinem Stande recht weit bringen; doch gibt es Wissenschaften, in welchen ein schlichter gesunder Hausverstand und wohl noch etwas weniger recht gute Dienste tut; große Ärzte hingegen können durchaus nur die feinsten Köpfe sein. Doch das Genie macht es nicht allein aus; es gehört das emsigste Studium dazu, um es in diesem Fache weit zu bringen; endlich, wenn man überlegt, daß diese Kenntnisse mit allen Hilfswissenschaften, welche die Arzneikunde voraussetzt, grade die erhabensten, natürlichsten, ersten Grundkenntnisse des Menschen sind - Studium der Natur in allen ihren Reichen, in allen ihren möglichen Wirkungen, in allen ihren Bestandteilen; Studium des Menschen an Leib und Seele, in seinen festen und flüssigen Teilen, in seiner ganzen Komposition, in seinen Gemütsbewegungen und Leidenschaften - was kann dann lehrreicher, tröstender, erquickender sein als der Umgang und die Hilfe eines solchen Mannes? Es gibt aber unter den Söhnen Äskulaps auch unzählige Leute von ganz andrer Art, Leute, denen der Doktorhut das Privilegium gibt, an armen Kranken Versuche ihrer Unwissenheit zu machen; Leute, die den Körper des Patienten als ihr Eigentum, als ein Gefäß ansehn, in welches sie nach Willkür allerlei flüssige und trockne Materien schütten dürfen, um wahrzunehmen, welche Wirkung durch den Streit dieser salzartigen, sauren und geistigen Dinge hervorgebracht wird, und wobei sie nichts wagen als höchstens, daß - das Gefäß zugrunde geht. Andern fehlt es bei der gründlichsten Kenntnis an Beobachtungsgeist. Sie verwechseln die Zeichen der Krankheiten, lassen sich durch falsche Berichte der Patienten täuschen, forschen nicht kaltblütig, nicht tief, nicht fleißig genug und verordnen dann Mittel, die gewiß helfen würden - wenn wir die Krankheit hätten, mit welcher sie uns behaftet glauben. Wieder andre kleben an Systemgeist, an Autorität, an Mode und schieben nie auf ihre Blindheit, sondern auf die Natur die Schuld, wenn ihre Arzneimittel andre Wirkungen hervorbringen als die, welche sie aus Vorurteil ihnen zutrauen; endlich noch andre halten aus Gewinnsucht die Genesung der Leidenden auf, um desto länger nebst dem Apotheker und Wundarzte den Vorteil davon zu ziehn. In wessen von dieser Herrn Händen man nun auch fällt, so wagt man es doch darauf, das Opfer der Ungewißheit, der Sorglosigkeit, des Eigensinns oder der Bosheit zu werden. Nun ist es freilich selbst einem Laien, der sonst einen graden Blick mit ein bißchen Menschenkenntnis, Erfahrung und Gelehrsamkeit verbindet, nicht so schwer, den groben Scharlatan von dem geschickten Manne an seinem Vortrage, an der Art seiner Fragen und Verordnungen auszuzeichnen; unter den bessern aber den zu unterscheiden, dem man am sichersten seinen Körper anvertrauen kann, das ist sehr viel schwerer. Folgende Vorschriften würde ich daher in Rücksicht auf den Umgang mit Ärzten empfehlen. Lebe mäßig in allem Betrachte, so magst Du den Arzt als Freund bei Dir sehn, aber Du wirst seiner Hilfe selten bedürfen. Gib wohl acht auf das, was Deiner Konstitution schädlich und heilsam ist, was Dir wohl und was Dir übel bekommt. Richte darnach strenge Deine Lebensart ein, so wirst Du nicht oft in den Fall kommen, Dein Geld in die Apotheke zu schicken. Wenn man nicht ganz fremd in der Physik, dabei ein wenig bewandert in medizinischen Büchern ist, sein Temperament kennt und weiß, zu welchen Krankheiten man Anlage hat und was Wirkung auf uns macht, so kann man auch oft bei wirklichen Krankheiten sein eigener Arzt sein. Jeder Mensch ist einer Art von Gebrechen mehr ausgesetzt als einer andern, insofern er einförmig lebt. Studiert er nun mit Ernst diesen einzigen Zweig der Heilkunde, so müsse es sonderbar zugehn, wenn er davon nicht vielleicht mehr, wenigstens ebensoviel Einsicht erlangen sollte als ein Mann, der das ganze Heer von Krankheiten übersehn muß. Fordert aber die Not, daß Du Dich an einen Doktor wendest, und Du willst Dir einen unter dem Haufen aussuchen, so gib zuerst acht, ob der Mann gesunde Vernunft hat; ob er über andre Gegenstände mit Klarheit, unparteiisch, ohne Vorurteil räsoniert; ob er bescheiden, verschwiegen, fleißig, anhänglich an seine Kunst ist; ob er ein gefühlvolles, menschenliebendes Herz offenbart; ob er seine Kranken mit einer Menge verschiedener Arzeneien zu bestürmen oder sich einfacher Mittel zu bedienen, der Natur womöglich ihren Lauf zu lassen pflegt; ob er eine Diät empfiehlt, die nach seinen Begierden abgemessen, ob er verbietet, was ihm zuwider ist, anrät, wozu er Appetit hat; ob er sich im Reden zuweilen widerspricht; ob er Brotneid gegen seine Kunstverwandten, ob er sich bereitwilliger zeigt, den Großen und Reichen als den Niedern und Armen beizustehn? Bist Du über diese Punkte befriedigt und beruhigt, so vertraue Dich ihm an. Vertraue Dich aber ihm allein, gänzlich und ohne Zurückhaltung. Verschweige auch nicht den kleinsten Umstand, der dazu dienen mag, ihn mit dem Zustande und dem Sitze Deines Übels bekannt zu machen. Doch mische keine nichtsbedeutende Kleinigkeit, keine Torheiten, keine Grillen, keine Einbildungen hinein, die ihn irremachen könnten. Folge strenge und pünktlich seinen Vorschriften, damit er sicher sein dürfe, ob das, was Du nachher empfindest, die Folge seiner angewendeten Mittel sei. Desfalls lasse Dich auch nicht verleiten, nebenher kleine Hausarkana, möchten sie auch noch so unschuldig scheinen, zu gebrauchen, noch heimlich einen zweiten Arzt um Rat zu fragen. Vor allen Dingen nimm nicht etwa zu gleicher Zeit zwei solcher Herrn öffentlich an. Die Resultate ihrer medizinischen Konsilien werden ebensoviel Todesurteile für Dich sein; keinem von beiden wird Deine Genesung am Herzen liegen; sie werden Deinen Körper zu dem Kampfplatze ihrer verschiedenen Meinungen gebrauchen; sie werden einer dem andern die Ehre mißgönnen, Dich gesund zu machen und Dich also lieber gemeinschaftlich in jene Welt schicken, um nachher wechselseitig die Schuld auf einander schieben zu können. Den Mann, der alles anwendet, was in seinen Kräften steht, Deine Gesundheit herzustellen, belohne nicht sparsam. Gib ihm reichlich nach Deinem Vermögen. Hast Du aber Ursache zu glauben, daß er eigennützig sei, so setze Dich auf den Fuß, ihm jährlich etwas Festgesetztes zu zahlen, Du möchtest unpaß oder gesund sein, damit er kein Interesse dabei habe, Dich mit allerlei Krankheiten zu versehn oder Deine Herstellung aufzuhalten. |
Über den Umgang mit Menschen Auch gut: Der neue Knigge Drittes Buch Über den Umgang mit Leuten von allerlei Ständen im bürgerlichen Leben.
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