8) Ob man seinen Freunden sein Unglück klagen solle?

Kein Grundsatz scheint mir unfeiner und eines gefühlvollen Herzens unwürdiger als der: daß es ein Trost sei, Gefährten oder Mitleidende im Unglücke zu haben. Ist es nicht genug, selbst leiden und dabei überzeugt sein zu müssen, daß in der Welt noch viele ebenso redlich gute Menschen, wie wir sind, nicht weniger Elend zu tragen haben? Sollen wir noch die Summe dieser Unglücklichen mutwilligerweise dadurch vermehren, daß wir andre zwingen, auch unsre Last mitzutragen, die dadurch um nichts leichter wird? Denn man sage doch nicht, daß es Erleichterung sei, sich von seinem Schmerze zu unterhalten! Nur für einige alte Weiber, nicht aber für einen verständigen Mann, kann Geschwätzigkeit von der Art Wohltat werden. Ich habe im ersten Kapitel des ersten Teils davon geredet: ob es gut sei, andern seine Widerwärtigkeiten zu klagen. Damals sagte ich zur Beantwortung dieser Frage nur das, was Weltklugheit und Vorsichtigkeit lehren; im Umgange mit Freunden hingegen, wovon hier die Rede ist, muß uns auch Feinheit des Gefühls vorschreiben, unsre unangenehme Lage vor dem mitempfindenden, zärtlich teilnehmenden Freunde so viel möglich zu verbergen. Ich sage: so viel möglich, denn es können Fälle kommen, wo die Bedürfnisse des gepreßten Herzens, sich zu entladen, zu groß, oder die liebreichen Anforderungen des Freundes, der den Kummer auf unsrer Stirne liest, zu dringend werden, wo länger zu schweigen Folter für uns oder Beleidigung für den Vertrauten werden würde. In allen übrigen Fällen lasset uns der Ruhe unsers Freundes wie unsrer eignen schonen. Das aber versteht sich, daß hier nicht von Gelegenheiten die Rede ist, wo sein Rat oder seine Hilfe uns retten kann. - Was wäre Freundschaft, wenn man da schwiege?

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Über den Umgang mit Menschen


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Auch gut: Der neue Knigge

Zweites Buch
Siebentes Kapitel: Über den Umgang unter Freunden.
8) Ob man seinen Freunden sein Unglück klagen solle?


1) Über die Wahl der Freunde, in der Jugend und im reifern Alter.
2) Inwiefern zur Freundschaft Gleichheit des Alters, des Standes, der Denkungsart und der Fähigkeiten erfordert werde?
3) Warum sehr vornehme und sehr reiche Leute wenig Sinn für Freundschaft haben:
4) Rechne nie auf die dauerhafte Freundschaft solcher Menschen, die von unedlen, heftigen oder torichen Leidenschaften regiert werden!
5) Ob es so schwer sei, treue Freunde zu finden? Wie sie beschaffen sein müssen? Ob man deren viele antreffe?
6) Bestimmung der Grenzen der Anhänglichkeit für einen Freund.
7) Freunde in der Not.
9) Was wir tun sollen, wenn uns ein Freund seine Not klagt?
10) Grenzen der Vertraulichkeit.
11) Schmeichelei muß unter Freunden wegfallen, nicht aber Gefälligkeit. Man muß den Mut haben, Wahrheit zu sagen und anzuhören.
12) Vorsichtigkeit im Fordern und Annehmen von Freundschaftsdiensten, Wohltaten und Gefälligkeiten.
13) Wie man es anzufangen habe, daß wir unserm Freunde nicht überlästig werden, und daß der öftere, zu vertrauliche Umgang nicht widrige Eindrücke erzeuge? Daß man auch Trennung von geliebten Freunden ertragen lernen müsse.
14) Über den Briefwechsel mit abwesenden Freunden.
15) Über Eifersucht in der Freundschaft.
16) Alles, was Deinem Freunde angehört, sei Dir heilig!
17) Man soll seine Freunde nicht nach der Wärme beurteilen, die sie äußerlich zeigen.
18) Man soll nicht ängstlich um Freunde werben.
19) Es gibt Menschen, die gar keine vertrauten Freunde haben, und andre, die jedermanns Freunde sind.
20) Vorschriften über die Aufführung, wenn Mißverständnisse unter Freunden entstehen.
21) Wie aber, wenn uns Freunde täuschen, verlassen, oder wir uns in unsrer Meinung von ihnen betrogen glauben?
22) Betragen nach dem Bruche mit einem uns würdig befundenen Freunde.

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