6) Bestimmung der Grenzen der Anhänglichkeit für einen Freund.

Hast Du nun einen solchen treuen Freund gefunden, so bewahre ihn auch! Halte ihn in Ehren, auch dann, wenn das Glück Dich plötzlich über ihn erhebt, auch da, wo Dein Freund nicht glänzt, wo Deine Verbindung mit ihm durch die Stimme des Volks nicht gerechtfertigt zu werden scheint. Schäme Dich nie Deines ärmern, weniger hochgeschätzten Freundes. Beneide nicht den Dir vorgezogenen Freund. Hänge fest an ihm, ohne ihm lästig zu werden. Fordre nicht mehr von ihm, als Du selbst leisten würdest, ja, fordre nicht einmal so viel, wenn Dein Freund nicht in allen Stücken mit Dir einerlei lebhaftes Temperament, einerlei Fähigkeiten, einerlei Grad von Empfindnis hat. Ergreife warm und eifrig die Partei Deines Freundes, aber nicht auf Unkosten der Gerechtigkeit und Redlichkeit. Du sollst nicht seinetwegen blind gegen die Tugenden andrer sein, noch, wenn Du die Macht in Händen hast, eines würdigen, geschickten Mannes Glück zu bauen, diesen dem weniger fähigen Freund nachsetzen. Du sollst nicht seine Übereilungen verteidigen, seine Leidenschaften als Tugenden erheben, in kleinen Zwistigkeiten mit andern Menschen, wenn er unrecht hat, vorsätzlicherweise die Partei des Beleidigers verstärken; nicht Dich mit in sein Verderben stürzen, wenn ihm dadurch nicht geholfen wird, noch vielleicht gar durch unkluge Verteidigung seine Feinde mehr erbittern und Dich und die Deinigen in das Verderben stürzen. Aber retten sollst Du seinen Ruf, wenn er unschuldig verleumdet wird, auch dann, wenn jedermann ihn verläßt und verkennt, sobald Du hoffen darfst, daß dies ihm irgend Vorteil bringen kann. Öffentlich ehren sollst Du den Edeln und Dich nie Deiner Verbindung mit ihm schämen, wenn Schicksale oder böse Menschen ihn unverdient zu Boden gedrückt haben. Nicht mitlächeln sollst Du, wenn lose Buben hinter seinem Rücken her ihn höhnen. Mit Vorsicht und Klugheit sollst Du ihm Nachricht geben von Gefahren, die ihm und seiner bürgerlichen Ehre drohen; aber nur insofern dies dazu dienen kann, dem Übel auszuweichen oder Unvorsichtigkeiten wieder gutzumachen, nicht aber, wenn er dadurch bloß eine unruhige Stunde gewinnt.

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Über den Umgang mit Menschen


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Auch gut: Der neue Knigge

Zweites Buch
Siebentes Kapitel: Über den Umgang unter Freunden.
6) Bestimmung der Grenzen der Anhänglichkeit für einen Freund.


1) Über die Wahl der Freunde, in der Jugend und im reifern Alter.
2) Inwiefern zur Freundschaft Gleichheit des Alters, des Standes, der Denkungsart und der Fähigkeiten erfordert werde?
3) Warum sehr vornehme und sehr reiche Leute wenig Sinn für Freundschaft haben:
4) Rechne nie auf die dauerhafte Freundschaft solcher Menschen, die von unedlen, heftigen oder torichen Leidenschaften regiert werden!
5) Ob es so schwer sei, treue Freunde zu finden? Wie sie beschaffen sein müssen? Ob man deren viele antreffe?
7) Freunde in der Not.
8) Ob man seinen Freunden sein Unglück klagen solle?
9) Was wir tun sollen, wenn uns ein Freund seine Not klagt?
10) Grenzen der Vertraulichkeit.
11) Schmeichelei muß unter Freunden wegfallen, nicht aber Gefälligkeit. Man muß den Mut haben, Wahrheit zu sagen und anzuhören.
12) Vorsichtigkeit im Fordern und Annehmen von Freundschaftsdiensten, Wohltaten und Gefälligkeiten.
13) Wie man es anzufangen habe, daß wir unserm Freunde nicht überlästig werden, und daß der öftere, zu vertrauliche Umgang nicht widrige Eindrücke erzeuge? Daß man auch Trennung von geliebten Freunden ertragen lernen müsse.
14) Über den Briefwechsel mit abwesenden Freunden.
15) Über Eifersucht in der Freundschaft.
16) Alles, was Deinem Freunde angehört, sei Dir heilig!
17) Man soll seine Freunde nicht nach der Wärme beurteilen, die sie äußerlich zeigen.
18) Man soll nicht ängstlich um Freunde werben.
19) Es gibt Menschen, die gar keine vertrauten Freunde haben, und andre, die jedermanns Freunde sind.
20) Vorschriften über die Aufführung, wenn Mißverständnisse unter Freunden entstehen.
21) Wie aber, wenn uns Freunde täuschen, verlassen, oder wir uns in unsrer Meinung von ihnen betrogen glauben?
22) Betragen nach dem Bruche mit einem uns würdig befundenen Freunde.

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