2) Über den Umgang mit Leuten, die einander feind sind.

Man kommt oft in nicht geringe Verlegenheit, wenn unsre Lage uns zwingt, mit Leuten umzugehn, die einander feind sind, wo man es also gar leicht mit einer Partei verdirbt, sobald man mit der andern gut steht, und es mit beiden verdirbt, wenn man sich ungebeten oder auf unvorsichtige Weise in diese Händel mischt; ich empfehle dabei folgende Vorsichtigkeitsregeln:

Soviel man kann, vermeide man die Unannehmlichkeit, mit zwei Parteien zu gleicher Zeit umzugehn, die miteinander in Zwist leben.

Kann man dies aber nicht ändern, zum Beispiel ohne plötzlich ein Verhältnis aufzuheben, in welchem man lange Zeit gestanden, so setze man sich womöglich auf den Fuß, durchaus nicht eingeflochten zu werden in die obwaltenden Streitigkeiten! Man bitte sich's vielmehr aus, daß in den Gesprächen diese Sache nie berührt werde. Diese Regel findet vorzüglich dann statt, wenn Menschen, die ehemals vertrauete Freunde gewesen sind, nun auf einmal in Feindschaft miteinander geraten. Verhalte Dich ganz leidend, wenn dann einer über den andern bei Dir klagt. Er mag nun in der ersten Empfindlichkeit ein Wort zuviel gesagt haben und nachher wieder einig mit seinem Gegenteile werden, oder es mag in dauernde Feindschaft übergehn, so wird er es doch bei kaltem Blute übelnehmen, wenn Du zum Guten oder Bösen geraten hast.

Kann man aber auch dies nicht ändern, so enthalte man sich zuerst aller Zweizüngigkeit. Das heißt: man rede nicht, wenn man bei der einen Partei ist, zum Nachteile der andern, und wiederum zum Tadel jener, wenn diese es wünscht; sondern, wenn man sich durchaus darüber erklären muß, immer so, wie es einem redlichen, gerechten Manne zukommt.

Noch schändlicher aber als jene Duplizität ist das Verfahren mancher Menschen, die, um dabei im trüben zu fischen oder um dadurch zu einer wichtigen Person zu werden oder aus Schadenfreude und Geist der Intrige, von beiden Seiten Öl zum Feuer gießen und den Zwist unterhalten.

Wenn man ferner die streitenden Teile nicht recht genau kennt; wenn sie nicht unsre vertrautesten Freunde sind; wenn man nicht ganz gewiß weiß, daß man es mit edeln, von Vernunft regierten Leuten zu tun hat, die vielleicht nur durch Mißverständnisse oder durch andre, mit Hilfe eines Dritten leicht zu hebende Irrungen getrennt werden; sondern wenn böser Wille, Eigennutz, ungesellige Gemütsart oder unbändige Leidenschaft im Spiele ist, folglich keine dauerhafte Wiedervereinigung nach den Gemütsarten der Leute zu hoffen steht, so lasse man sich nicht darauf ein, Versöhnungen stiften zu wollen. Man verdirbt es dabei leicht mit einer Partei und nicht selten mit beiden.

Ist es endlich gar nicht zu vermeiden, daß man sich für oder gegen eine von den beiden Parteien bestimmt erkläre, so nehme man sich nicht etwa, wie Leute von niedriger Denkungsart zu tun pflegen, immer der stärkern gegen die schwächre an oder drehe gar den Mantel nach dem Winde, um abzulauern, wer siegen wird, und alsdann den im Stiche zu lassen, der von dem andern durch allerlei Kabale unterdrückt worden; sondern man entscheide sich ohne Ansehn der Person und ohne Rücksicht auf Freundschaft, Schmeichelei und Verwandtschaft männlich und unerschütterlich nach den Regeln der Gerechtigkeit für den, von dem uns unsre Vernunft sagt, daß er recht habe, und bleibe ihm treu und beständig zugetan, es gehe auch, wie es wolle.

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Über den Umgang mit Menschen


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Zweites Buch
Elftes Kapitel: Über das Betragen gegen Leute in allerlei besondern Verhältnissen und Lagen.
2) Über den Umgang mit Leuten, die einander feind sind.


1) Gegen Feinde, Beleidiger und Beleidigte.
3) Über die Art, Kranke zu behandeln.
4) Über das Betragen gegen Arme, Leidende, Verlassene, Verirrte und Gefallene.

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