1) Gegen Feinde, Beleidiger und Beleidigte.
Zuerst aber die Aufführung gegen unsre Feinde. Man kränke niemand vorsätzlich! Man sei wohlwollend, dienstfertig, verständig, vorsichtig, grade und ohne Winkelzüge in allen Handlungen. Man erlaube sich keinen Schritt zum Nachteil eines andern. Man zerstöre keines Menschen Glückseligkeit. Man verleumde niemand. Man verschweige selbst das wirklich Böse, das man von seinen Mitmenschen weiß, wenn man nicht entschiednen Beruf hat oder das Wohl andrer es bestimmt erfordert, darüber zu reden - so wird man - etwa keine Feinde haben? - das sage ich nicht; aber man wird, wenn uns dennoch Neid und Bosheit verfolgen, wenigstens die Beruhigung empfinden, keine Veranlassung zur Feindschaft gegeben zu haben. Es steht nicht immer in unsrer Willkür, geliebt, aber es hängt immer von uns ab, nicht verachtet zu werden. Allgemeiner Beifall, allgemeines Lob sind sehr entbehrliche Dinge; allgemeine Achtung können dem Redlichen und Weisen wider Willen selbst die Schurken in ihren Herzen nicht versagen, und der warmen Freunde bedarf man etwa nur drei in der Welt, um glücklich zu sein. Will man ohne Angst in dem Umgange mit Menschen leben, so darf es uns nicht beunruhigen, wenn nicht alle Menschen uns für gut und weise halten. Je mehr hervorleuchtende edle Eigenschaften aber ein Mann hat, um desto gewisser kann er darauf rechnen, von der Scheelsucht schwacher und schlechter Menschen manches ertragen zu müssen, und die, welche die allgemeine Stimme des Pöbels aller Klassen für sich haben, sind mehrenteils die mittelmäßigsten Leute, Leute ohne Charakter oder niedrige Schmeichler und Heuchler. Es ist wahrlich nicht schwer, Menschen zu gewinnen, auch die zu gewinnen, welche am heftigsten gegen uns eingenommen waren, und das oft durch ein einziges Gespräch unter vier Augen, wenn man ihre schwache Seite studiert hat und es recht darauf anlegt - allein das ist eine elende, des redlichen Mannes unwürdige Kunst. - Und was bekümmert es mich am Ende, ob Menschen, die mein Herz nicht kennen, ja, die mich nie gesehn haben, durch die Geschwätze irgendeines alten Weibes gegen mich eingenommen sind oder nicht? Klage aber nie über Verfolgung und Feinde, wenn Du nicht Lust hast, die Anzahl der letztern zu vermehren. Es schleicht immer eine Anzahl furchtsamer, niederträchtiger Geschöpfe umher, die nicht den Mut haben, gegen einen Mann von Würde sich öffentlich zu erklären, die aber sich augenblicklich an Dich wagen, sobald sie Dich hilflos, scheu und niedergeschlagen erblicken; und diese, so unbedeutend sie Dir auch scheinen möchten, können mit ihren Neckereien Dir tausendfältigen Kummer machen. Der feste Mann muß sich selbst schützen. Zeige Zuversicht zu Dir selber, so wirst Du ganze Heere von Schelmen im Zaume halten! Zudem ist des Kämpfens in der Welt so viel; jeder gute Mann hat mit seinen eignen Angelegenheiten genug zu tun, so daß es vergebens ist, Alliierte zu suchen, weil diese bei der ersten Gelegenheit, wo es eigne Sicherheit gilt, davonlaufen. Der Mann, welcher sich stellt, als merkte er es nicht einmal, daß man ihn verfolgt, der von Zeit zu Zeit sagt: »Gottlob! mir geht es gut; ich habe Freunde«, wird für einen mächtigen Bundesgenossen gehalten, dessen man schonen müsse, dahingegen über den Verlassenen jeder, wie die benachbarten Fürsten über das Eigentum einer kleinen Reichsstadt, herfällt. Werde nie hitzig oder grob gegen Deine Feinde, weder in Gesprächen noch Schriften; und wenn böser Wille und Leidenschaft, wie es mehrenteils geschieht, bei ihnen im Spiele ist, so lasse Dich auf keine Art von Explikation ein. Schlechte Leute werden am besten durch Verachtung bestraft und Klatschereien am leichtesten widerlegt, wenn man sich gar nicht darum bekümmert. Wenn man daher unschuldig verleumdet, angeklagt, verkannt wird, so zeige man Stolz und Würde in seinem Betragen, und die Zeit wird alles aufklären. Nicht alle Bösewichte sind unempfindlich gegen eine edle, großmütige, immer gleiche, grade Behandlung. Mit diesen Waffen also kämpfe man, solange sich's irgend tun läßt, gegen seine Feinde. Sie müssen nicht Rache fürchten, sondern fürchten, daß sie selber sich in den Augen des Publikums herabsetzen würden, wenn sie fortführen, einen Mann zu verfolgen, dem niemand seine Ehrerbietung versagt. Wollen sie aber dennoch nicht das Gewehr strecken und macht Dein Stillschweigen bei ihren Ausfällen sie noch kecker, dann zeige einmal mit großer Kraft, was Du tun könntest, wenn du wolltest. Aber gebrauche dabei keine Winkelzüge. Vereinige Dich nie mit andern schlechten Leuten. Mache keine gemeinschaftliche Sache mit einem Schelme, um den andern zu bekämpfen, sondern tritt ganz allein mutig, kühn, schnell, grade und öffentlich gegen sie auf. Es ist unglaublich, wieviel ein einziger mit einem guten Gewissen und edlem Feuer gegen Scharen von Nichtswürdigen vermag. Sei nur trotzig gegen mächtige, siegende Feinde! Des Überwundenen, des Unglücklichen schone und verschweige alles Unrecht, das er Dir vormals zugefügt, sobald er außerstande ist, Dir ferner zu schaden, sobald er die Stimme des Publikums gegen sich hat. Laß Dir nie zweimal die Hand zur Versöhnung reichen! Vergiß dann alle Beleidigungen, solltest Du auch fürchten müssen, daß der Mann bei der ersten Gelegenheit die Feindseligkeit erneuern wird. Sei zwar auf Deiner Hut; aber zeige kein Mißtraun. Es ist besser, unschuldigerweise zum zweitenmal beleidigt zu werden, als ein einzigmal den Mann zu kränken, zu erbittern und ihm allen Mut zu nehmen, dem es mit seiner Rückkehr zu Dir ein Ernst ist. Aber man muß auch verzeihn können, ohne darum gebeten zu werden. Man hat oft die beste Gelegenheit, die Gemütsart eines Menschen dann kennenzulernen, wenn er uns beleidigt hat. Man gebe acht, ob er es wiedergutzumachen sucht durch Bitten um Verzeihung - und wie? Gleich oder spät nachher? Öffentlich oder heimlich? Und warum nicht gleich und nicht vor allen Leuten? Aus Starrköpfigkeit, Eitelkeit oder Blödigkeit? Oder ob er gar keinen Schritt tut, sondern uns laufen läßt, wohl gar mault und Feindschaft auf den Beleidigten wirft? Ob jenes aus Leichtsinn oder Tücke? Oder ob er den Fehler zu beschönigen sucht, Winkelzüge macht, den Gesichtspunkt zu verrücken sucht, um recht zu behalten? Schon in den Jahren der Kindheit kann man aus diesen Zügen auf den künftigen Charakter schließen. Hast Du jemand beleidigt, so suche sobald möglich Dein Unrecht gutzumachen - nicht auf kriechende, aber auf herzliche Weise. Unmöglich lassen sich hier für alle einzelnen Fälle Vorschriften geben; nur muß ich bemerken, daß es Menschen gibt, die durch jede kleine Herablassung, die man ihnen zeigt, so übermütig und geneigt werden, uns Unrecht zuzufügen, daß man gegen diese, wenn man ihnen eine unbedeutende Beleidigung zugefügt hat, die oft nur in ihrer Einbildung besteht, die Ersatzleistung nicht zu weit treiben, sondern lieber durch nachheriges vorsichtigere Betragen die Übereilung vergessen zu machen suchen muß. Je vornehmer der Mann, der von Feinden verfolgt wird, um desto wichtiger ist es, daß er den größten Teil dieser Vorschriften sich zunutze mache. Ein Minister wird oft durch kleine, sehr kleine Leute, deren Einfluß er verachtet, bloß dadurch gestürzt, daß er bei dem ersten Angriffe Furchtsamkeit, Mangel an Zuversicht blicken läßt. Übrigens hat man nicht unrecht, wenn man behauptet, daß unsre Feinde oft, ohne es zu wollen, unsre größten Wohltäter sind. Sie machen uns aufmerksam auf Fehler, die unsre eigne Eitelkeit, die Nachsicht unsrer parteiischen Freunde und die niedrige Gefälligkeit der Schmeichler vor unsern Augen verbergen. Ihre Schmähungen feuern in uns den Eifer an, um desto sorgsamer den Beifall der Bessern zu verdienen; und wenn sie jedem unsrer Schritte auflauren, so lehren sie uns, auf unsrer Hut zu sein, um ihnen keine Blöße zu geben. Keine Feindschaft pflegt heftiger zu sein als die unter entzweieten Freunden. Unsre Eitelkeit kommt da in das Spiel; wir schämen uns, das Spielwerk eines Bösewichts gewesen zu sein; wir wenden alles an, um diesen nun im schlechtesten Lichte zu zeigen, damit wir vor der Welt unsre Trennung von ihm rechtfertigen mögen. - Doch über das Betragen gegen Freunde nach dem Bruche habe ich ja schon im sechsten Kapitel dieses Teils geredet. |
Zweites Buch Elftes Kapitel: Über das Betragen gegen Leute in allerlei besondern Verhältnissen und Lagen. 1) Gegen Feinde, Beleidiger und Beleidigte. 2) Über den Umgang mit Leuten, die einander feind sind. 3) Über die Art, Kranke zu behandeln. 4) Über das Betragen gegen Arme, Leidende, Verlassene, Verirrte und Gefallene.
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