2) Man soll sich ihnen aber nicht aufdrängen noch ihre Handlungen ausspähn.

Man reiche das wenige, was man der Gastfreundschaft opfern kann, in gehörigem Maße, mit guter Art, mit treuem Herzen und mit freundlichem Gesichte dar. Man suche bei Bewirtung eines Fremden oder eines Freundes weniger Glanz als Ordnung und guten Willen zu zeigen. Fremde Reisende kann man sich vorzüglich durch gastfreundschaftliche Aufnahme verpflichten. Es kommt ihnen nicht auf eine köstliche freie Mahlzeit, aber darauf kommt es ihnen an, daß sie Eingang in guten Häusern und dadurch Gelegenheit erhalten, sich über Gegenstände zu unterrichten, die zu dem Zwecke ihrer Reise gehören. Gastfreundschaft gegen Fremde ist desfalls sehr zu empfehlen. Man sehe nicht verlegen aus, wenn uns unerwartet ein Besuch überrascht. Nichts ist unangenehmer und peinlicher, als wenn wir merken, daß es dem Manne, der uns bewirtet, sauer wird, daß er ungern und nur aus Höflichkeit hergibt oder daß er mehr Aufwand dabei verschwendet, als seine Umstände leiden; wenn er ohne Unterlaß seiner Frau oder seinen Bedienten in die Ohren flüstert oder mit ihnen zankt, sobald eine Schüssel unrecht gestellt oder etwas vergessen worden: wenn er selbst im Hause herumlaufen, alles anordnen muß und also an den Freuden der Gesellschaft gar nicht teilnimmt; wenn er zwar gern gibt, seine Frau hingegen uns jeden Bissen in den Mund zählt; wenn so wenig in den Schüsseln liegt, daß der, welcher vorlegt, unmöglich herumreichen kann; wenn der Wirt und die Wirtin uns ungestüm zum Essen und Trinken nötigen oder auf eine Weise geben, die uns zu sagen scheint: »Es ist nun einmal angeschafft, also fresset euch den Balg voll! Werdet recht satt, so habt ihr auf lange Zeit genug und brauchet sobald nicht wiederzukommen!« Endlich wenn wir Zeugen von Familienzwist und der Unordnung, die im Hause herrscht, sein müssen. Mit einem Worte: Es gibt eine Art, Gastfreundschaft zu erweisen, die dem wenigen, das man darreicht, einen höhern Wert gibt, als große Schmausereien haben. Vieles trägt hierzu die Unterhaltung bei. Man muß daher die Kunst verstehn, mit seinen Gästen nur von solchen Dingen zu reden, die sie gern hören, in einem größern Zirkel solche Gespräche zu führen, woran alle mit Vergnügen teilnehmen und sich dabei in vorteilhaftem Lichte zeigen können. Der Blöde muß ermuntert, der Traurige aufgeheitert werden. Jeder Gast muß Gelegenheit bekommen, von etwas zu reden, wovon er gern redet. Weltklugheit und Menschenkenntnis müssen hier in den besondere Fällen zum Leitfaden dienen. Man muß nichts als Auge und Ohr sein, ohne daß dies mühsam aussehe, ohne daß man an uns Anstrengung wahrnehme, oder als geschähe dies nur aus Pflicht, nur, um zu zeigen, man wisse zu leben, nicht aber von Herzen. Man bitte nicht Menschen zusammen oder setze solche an Tafeln nebeneinander, die sich fremd oder gar feind sind, sich nicht verstehen, nicht zueinander passen, sich Langeweile machen. Alle diese Aufmerksamkeiten aber müssen auf eine solche Art erwiesen werden, daß sie nicht mehr Zwang auflegen, als sie Wohltat für den Gast sind. Haben die Bedienten aus Versehn den unrechten Mann oder haben sie einen Gast auf den unrechten Tag gebeten, so muß der Fremde doch nicht merken, daß er uns unerwartet kommt, wenigstens nicht, daß er uns in Verlegenheit setzt, uns unwillkommen ist.

Manche Menschen unterhalten sich und andre am besten, wenn man sie zu großen Zirkeln bittet; andre muß man, wenn sie glänzen oder sich an ihrem Platze finden sollen, ganz allein oder nur zu einem kleinen Familienmahl einladen. Auf dies alles muß man achthaben. Jeder, der auf kurze oder lange Zeit in Deinem Hause ist, und wäre er Dein ärgster Feind, muß daselbst von Dir gegen alle Arten von Beleidigungen und Verfolgungen andrer, soviel an Dir ist, geschützt sein. Es müsse jeder unter unserm Dache sich so frei als unter seinem eigenen fühlen. Man lasse ihn seinen Gang gehn, renne ihm nicht in jeden Winkel nach, wenn er vielleicht allein sein will, und verlange nicht von ihm, daß er für die Kost, welche er genießt, uns unterhalten und dadurch seine Zeche bezahlen solle; endlich lasse man nicht nach, in Gefälligkeit und Bewirtung, wenn der Freund sich längere Zeit bei uns aufhält, sondern erzeige ihm gleich in den ersten Tagen nicht mehr und nicht weniger, als man in der Folge fortsetzen kann.

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Über den Umgang mit Menschen


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Auch gut: Der neue Knigge

Zweites Buch
Achtes Kapitel: Betragen gegen Hauswirte, Nachbarn und solche, die mit uns in demselben Hause wohnen.
2) Man soll sich ihnen aber nicht aufdrängen noch ihre Handlungen ausspähn.


1) Nächst den ersten natürlichen Verhältnissen ist man zuerst seinen Nachbarn und Hausgenossen Rat, Tat und Hülfe schuldig.
3) Kleine Gefälligkeiten gegen Personen, die unter, neben uns und uns gegenüber wohnen.
4) Verhalten gegen Hauswirte und Betragen des Hauswirts gegen Mietsleute.
5) Kleine Mißhelligkeiten müssen gleich geschlichtet werden.

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